Die Familie im folgenden Bericht wollte vor der geplanten Alleingeburt eigentlich noch umziehen. Aber dann war das Baby schneller. Hier berichten Mama und Papa abwechselnd aus ihrer Sicht von einer selbstbestimmten Geburt zwischen Umzugskartons. Diesen Bericht findet ihr auch auf dem Blog der Familie unter geborgengeboren.wordpress.com.
Mama: Mein erstes Kind habe ich nach einer unkomplizierten Schwangerschaft 2015 im Krankenhaus entbunden. Da ich die Atmosphäre im Krankenhaus als stressig empfunden und ich mich in meiner Freiheit eingeschränkt gefühlt habe, wollte ich mein zweites Kind ungerne wieder im Krankenhaus entbinden.
Papa: Die erste Geburt war für mich einfach. Krankenhaus-Tasche und Frau in das nahe gelegene Krankenhaus bringen und dann Händchenhalten. So ganz grob. Die größte Herausforderung dabei war für mich, irgendwann zu später Stunde meinen Kreislauf aufrecht zu erhalten, um nicht als zweiter Patient aufgenommen werden zu müssen.
Mama: Die zweite Schwangerschaft war ebenfalls unkompliziert. Wir hatten mit einer Hebamme zusammen eine Hausgeburt angedacht. Ich las zwei für mich wichtige Bücher “Übernatürliche Entbindung” (Jackie Mize) und “Alleingeburt” (Sarah Schmid). Die Hebamme war zwar sehr nett, mir aber nicht so vertraut und nah, wie ich mir eine Begleitperson bei der Entbindung wünschte. Desweiteren stellte sich heraus, dass die geplante Hausgeburt über 1000€ kosten sollte. Wir sagten der Hebamme wieder ab und in mir wurde der Gedanke, mein Kind ohne “professionelle” Hilfe auf die Welt zu bringen, immer präsenter. Ich las Geburtsberichte und schaute mir ein paar Geburtsvideos an. Mein Mann war zwar etwas skeptisch, aber nicht ganz abgeneigt, dieses Vorhaben zu unterstützen.
Papa: Nachdem mir meine Frau von der Idee der Alleingeburt (und den für mich verrückt erscheinenden Büchern) erzählte, war ich nicht sonderlich erfreut. Nicht nur etwa, weil es mehr Arbeit als letztes Mal bedeuten würde, sondern vor allem emotional. Auch wenn mir die genannten Bücher den Eindruck erweckten, die meisten Zweifel beseitigen zu können, fiel es mir schwer, mich darauf einzulassen, da die „Was mache ich, wenn…“-Kapitel mir sehr nah gingen, so dass ich insgesamt mit dem Lesen nicht sonderlich weit gekommen bin. Ich bin dann dazu übergegangen, ein wenig Literatur hinzuziehen, die sich mehr auf den unbeholfenen Mann einlässt. So stieß ich nach einiger Recherche auf einen Spiegel-Nachdruck aus dem Jahre 1955 über einen gewissen Dr. Read, der für mich eine Art Pionier zwischen den etablierten Geburtstechniken geworden ist.
Mama: Wir fühlte immensen Frieden im Herzen bei dem Gedanken daran, obwohl wir wussten, dass jeder aus unserer Verwandtschaft uns etwas anderes empfehlen würde. Wir beteten, dass Gott uns diesen Frieden wegnehmen möge, wenn wir doch lieber in ein Krankenhaus fahren sollten.
Papa: Wesentlicher Knackpunkt für mich war die Erklärung von Dr. Read, wie der Wehenschmerz entsteht. Ich versuche es mal in meinen Ingenieursworten wiederzugeben: Durch das Entgegenwirken zweier Muskelgruppen entsteht Wehenschmerz. Der eine Muskelgruppe wird automatisch gesteuert, so wie der Herzmuskel. Es ist der Frau nicht möglich, diese Muskeln zu steuern. Deshalb kommen und gehen die Wehen, wie der Körper das will. Die andere Muskelgruppe wirkt diesen Muskeln entgegen und hemmt den Geburtsprozess. Diese Muskelgruppe wird typischerweise bei Angst angesprochen. Ist die Frau also entspannt, so hat sie keine Schmerzen. Phuii… das ist mal ein Statement. Nenne ich diese Wehen also nun nur noch Kontraktionen. Immerhin war es bei unserer ersten Geburt so, dass meine Frau sich von einer Kontraktion zu nächsten atmete. Bei der ersten Untersuchung der Hebamme wurde auf einmal alles ganz hektisch, denn der Muttermund war schon über 6cm weit offen. Also quasi noch 4cm, dann ist das Kind da! Wir mussten sofort in den Kreisssaal gehen. Ab diesem Moment hatte meine Frau Schmerzen. Ich würde behaupten, dass meine Frau ohne diese Hektik keine Schmerzen gehabt hätte.
Ich bin froh über unsere medizinische Versorgung, aber in diesem Punkt war ich nun bereit zu sehen, ob es ohne professionelle Hilfe nicht besser gehen würde, wenn sich meine Frau einfach die Zeit nimmt, die sie möchte und dort entbindet, wo sie sich am besten entspannen kann.
Mama: Erster Entbindungstermin (ET) war der 2.5.17, korrigierter ET war der 15.5.17. Wir freuten uns, weil wir für unsere wachsende Familie endlich ein neues größeres Zuhause zum 1.5.17 gefunden hatten. Der Umzug war gut organisiert; wir hatten so gepackt, dass an dem Tag vor dem Umzug keine Arbeit mehr anstand und wir zur Entspannung noch einen Familienausflug ins Schwimmbad machen konnten.
Ich hatte am Abend noch das neue Heim geputzt, um 1:00 nachts begannen dann die Kontraktionen. Ich konnte nur stückweise schlafen, da der Bauch immer mehr und öfter hart wurde. Eigentlich wollte ich, dass das Kind im neuen Zuhause kommt, also betete ich noch, dass die Kontraktionen wieder aufhören würden. Die Kontraktionen blieben, der Friede bei dem Gedanken, zu Hause zu entbinden, auch. Gegen 5:00 weckte ich meinen Mann, sagte, dass wir heute Abend zu viert sein würden und bat ihn, meine Mutter anzurufen, um unseren fast Zweijährigen abzuholen. Dann ging ich in unsere Badewanne und wechselte oft zwischen Badewanne und Toilette hin und her. Ich habe diesen Wechsel als sehr angenehm empfunden. Auch Blase und Darm schufen Platz für das Köpfchen.
Gegen 6:00 Uhr war mir klar, dass ich definitiv in unserem Bad bleiben würde und wir nirgendwo mehr hinfahren würden. Um 6:20 wurde unser Großer dann von seiner Oma und seiner Tante abgeholt; er liebt beide sehr, sodass es für ihn kein Problem war, mit ihnen mitzugehen. Meine Mutter fragte noch, wieweit es denn sei. Mein Mann meinte, dass wir wohl bald los müssten … (Wir hatten bisher nicht von unserem Plan erzählt …)
Papa: Innerlich war ich sehr entspannt. Ich wusste: Meine Frau kann das. Selbst ein Tier schafft das alleine. Und wenn wir unsere gesellschaftliche Prägungen und Ängste überwinden, kann meine Frau das mit meiner Hilfe auch schaffen. Äußerlich war ich hektisch, denn wir hatten ja nicht damit gerechnet, dass es so früh losgehen würde. Nicht dass es zu früh wäre, denn wie ich ja gelernt hatte, weiß der Körper besser Bescheid, wann es so weit ist, als der Frauenarzt rechnen kann. Also wetzte ich durch unsere Wohnung und suchte den von uns sorgfältig gepackten Geburtskarton, in dem sich alles befand, was man so brauchen kann, wenn man (wie ursprünglich geplant kurz nach dem Umzug) zu Hause entbindet. Nachdem ich noch zwischendurch den Großen angezogen in Schwiegermutters Auto gebracht habe, x-mal ins Bad gerannt war, um etwas zu Trinken, ein Handtuch, einen Kuss, ein paar gute Worte und etwas zu Essen zu bringen, hatte ich kurz vor halb sieben den Karton gefunden und war dabei, das Bett mit der wasserdichten Unterlage zu beziehen.
Mama: Um 6:30 bat ich meinen Mann, bei mir im Bad zu bleiben. Die Kontraktionen und der Druck nach unten wurden immer intensiver. Ich blieb – mit einem Bein knieend mit einem Bein hockend – in unserer Badewanne und drückte mich mit aller Kraft mit dem Arm vom Badewannenrand ab. So presste ich nicht mit, da ich dem Gewebe genug Zeit für die Dehnung geben wollte. Es war fasziniernd, wie der Bauch sich von ganz alleine zusammenzog. Ich hatte das Gefühl, mein Körper macht das völlig selbstständig und ich musste nur diesen Druck aushalten. Dieser war jedoch nicht so schmerzhaft wie bei der ersten Geburt, sondern viel angenehmer auszuhalten, eher so wie Muskelkater. Es hat richtig Spaß gemacht, bewusst Zeuge dieses atemberaubend wunderbaren Vorgangs zu sein. (Und nicht wie beim Ersten vor Schmerzen das ganze Krankenhaus zusammenzuschreien.)
Plötzlich fühlte es sich an, als ob zwischen meinen Beinen ein Luftballon platzte. Die Fruchtblase war geplatzt und das jWasser war nun ganz leicht rosa gefärbt. Dann konnte ich das Köpfchen schon fühlen. Noch ein paar Kontraktionen und der Kopf wurde geboren.
Papa: An diesem Punkt hatte ich dann doch irgendwie Angst bekommen und in mir stiegen Zweifel und Was-ist-wenn-Fragen hoch. Zum Glück war nicht mehr viel Zeit für solche Gedanken.
Mama: Die Drehung der Schultern hat sich sehr besonders und schön angefühlt. Noch eine Kontraktion später hielt ich um 6:55 unseren kleinen Schatz im Arm. Wir merkten, dass er noch mit Fruchtwasser zu kämpfen hatte, da der erste Schrei eher wie ein Gurgeln beim Zähneputzen klang. Mein Mann erinnerte mich, ihn mal nach vorne gebeugt zu halten. Er wurde sein Fruchtwasser los, machte einen kurzen zweiten Laut und schaute mich dann einfach atmend an, als wolle er sagen: “Du bist also meine Mama.” Mein Mann und ich waren überwältigt vor Freude, Dankbarkeit und Stolz. Ein paar Minuten später trank er schon an der Brust. Gegen 7:15 rief ich zu meinem Mann: “Hier nimm mal! Die Plazenta!”. Mein Mann hielt den kleinen Sohnemann im Arm und bei mir “purzelte” nur so die Plazenta unten raus.
Papa: Hier nimm mal! – Eigentlich war ich bei diesem Gedanken immer gehemmt, ein so glischtig verschmiertes Baby anzufassen. Aber plötzlich war mir das alles egal, sodass ich den kleinen Erdenbürger gerne nahm. Und ja, er war wirklich glitschig.
Mama: Wir ließen das Wasser ab, um die Plazenta zu untersuchen. Sie sah gut und vollständig aus. Mein Mann vollzog das Abnabeln (mit Kabelbinder und Seitenschneider…) weit genug vom Körper unseres Kleinen entfernt. Ich duschte mich ab und kuschelte mich danach mit unserem kleinen Schatzi zwischen die Kartons auf unsere große Matratze. Wie gut ich jetzt schlafen konnte.
Papa: In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich damit, im Badezimmer wieder aufzuräumen und den Geburtskarton weiter nach nützlichen Utensilien zu durchwühlen. Also insgesamt doch auch ganz einfach.
Mama: Mein Mann untersuchte mich unten und stellte fest, dass ich doch etwas gerissen war. Wir überlegten und fragten telefonisch eine befreundete Hebamme um Rat. Diese war “zufällig” gerade ganz in der Nähe und schaute vorbei: Vier Tage liegen und Beine übereinander! Und mehr haben wir auch wirklich nicht nötig. Da wir ja einen Ausflug für diesen Tag geplant und so vor dem Umzug kaum noch Essen im Haus hatten, bestellte mein Mann Pizza. Oma, Tante und der stolze große Bruder bestaunten den neuen Erdenbürger. Der Umzug am nächsten Tag hat Dank der vielen Helfer gut geklappt. Meine Schwiegermutter und meine Schwester haben Küche und Schränke soweit eingeräumt – während ich mich mit meinen beiden Jungs bei meiner Mutter versorgen ließ – sodass wir uns gut im neuen Heim einleben konnten. Wir sind sehr dankbar für dieses Wunder, das wir miterleben durften!
Papa: Ich fühle mich sehr bereichert durch das Miterleben beider Geburten, auch wenn es mir als Mann häufig große Mühe gemacht hat, mich intensiv damit auseinanderzusetzten. Ich bin meiner Frau dankbar, dass sie „das Ding“ mit Gott durchgezogen hat, ohne sich zu überschätzen, und mich mitgenommen hat.
Vielen Dank für diesen schönen Geburtsbericht. Ich bin selbst (Hausgeburts)Hebamme und beeindruckt, wie gut ihr das gemeistert habt. Ich wünsche mir mehr Paare, die so selbstbestimmt gebären wollen. Mich würde außerdem noch interessieren, warum eine Hausgeburt so teuer gewesen wäre.
Danke, Ronja. Hier bei uns an der Ostsee sind Hausgeburten und Hausgeburtshebammen echt rar. Die Hausgeburtshebammen legen die hohe Versicherungssumme auf die wenigen Frauen um.
So ein unfassbar schöner Geburtsbericht! Vielen Dank, dass du hier einen Gegenentwurf zur Einleitung, PDA, Glocke und Rückenlage Geburt schreibst, einfach friedlich und wunderbar selbstbestimmt!