Taucht man mit einem gestillten Baby oder Kleinkind mit Zahnproblemen beim Zahnarzt auf, kann man darauf wetten, dass dem Stillen die Schuld an den Zahnproblemen gegeben wird. So wie bei einem Flaschenkind fast automatisch die Flasche Schuld an Karies ist. Als Mutter darf man sich also eine Runde schlecht fühlen und wird eindringlich dazu aufgefordert abzustillen – sonst wird alles immer nur schlimmer mit den Zähnen.
Geknickt und beschämt geht die Mutter nach Hause. Das nachfolgende Drama zu Hause muss der Zahnarzt natürlich nicht aushalten. Verfallen die Zähne danach trotzdem weiter, wird ein anderer Schuldiger gefunden: Zu wenig/falsches Putzen, zu viel Zucker – wenn auch nur der Milchzucker aus der getrunkenen Milch, zu wenig Fluoride … unterm Strich gibt es im Weltbild der meisten Zahnärzte außer Zucker und Bakterien selten andere Ursachen. Und die werden in jeder Lebenslage irgendwo gefunden. Beim gestillten Kind eben in der Muttermilch.
Wie ist die Studienlage?
Eine Übersicht über 63 Studien kommt zu dem Schluss, dass Stillen im ersten Lebensjahr vor Karies schützt, nach dem ersten Lebensjahr Karies dagegen begünstigt. Ob das Stillen tatsächlich Schuld ist oder andere Faktoren (Ernährung, Gewohnheiten) eine ursächliche Rolle spielen, wurden in diesen Studien nicht betrachtet. Deshalb kommen die Verfasser der Übersichtsstudie zu dem Schluss, dass mehr Forschung notwendig ist. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26206663
Es erscheint nämlich paradox, warum Stillen vor dem ersten Lebensjahr offensichtlich vor Karies schützt, danach Karies aber begünstigt.
Was ist plausibel?
Beim Stillen wird die Brustwarze vom Baby sehr weit in den Mund gezogen. Es ist also entgegen der Vorstellung vieler Zahnärzte unmöglich, dass die Zähne ständig mit Milch umspült werden – im Gegensatz zu Getränken oder Milch aus der Flasche.
Ganzheitlich betrachtet
Betrachtet man den Mund nicht isoliert sondern als Teil des Körpers, dann ist Karies ein Symptom, dessen Ursachen weiter reichen als nur auf die Zahnoberflächen. So betrachtet führt Zuckerkonsum zu Karies – aber aus einem Grund, dem man mit Zahnhygiene nicht ausweichen kann. Ständige süße Mahlzeiten heben den Blutzuckerspiegel an. Der Körper ist bestrebt, den Blutzuckerspiegel im Gleichgewicht zu halten und senkt ihn sofort. Das geschieht über Insulin. Insulin braucht Kalzium (https://pdfs.semanticscholar.org/e688/60476f3cb41570f954628fcf0c3f1248dc46.pdf–) und mobilisiert das wenn notwendig auch aus Knochen und Zähnen. Zuckerkonsum (vor allem in vielen aufeinander folgenden Gaben) begünstigt also Karies – egal, wie viel mal die Zähne danach putzt. Theoretisch wäre es daher denkbar, dass Stillen Karies begünstigt, wenn folgende Umstände gemeinsam vorliegen:
– Dauerstillen (= ständige Blutzuckeranstiege)
– Nährstoffmangel aufgrund mangelnder Zufuhr oder mangelnder Aufnahme im Darm (besonders der Vitamine D, A, K2 – essentiell für einen funktionierenden Kalziumstoffwechsel)
– von Geburt an schlechte Zahnsubstanz
Muttermilch enthält allerdings leicht verdauliches Kalzium – genau das, was der Körper braucht, um den Zucker zu verwerten. Es muss also theoretisch eine gestörte Kalzium-Aufnahme im Darm vorliegen, um hier für ein Ungleichgewicht zu sorgen.
Was tun?
- alle Maßnahmen zu einer verbesserten Nährstoffversorgung und Nährstoffaufnahme ergreifen, damit die Karies zum Stillstand kommen kann bzw. sich verlangsamt. Wenn das Kind noch ausschließlich oder vorwiegend stillt, über die Verbesserung der eigenen Ernährung.
- Nicht abstillen. Kinder, die über ein gewisses Alter hinaus feste Nahrung verweigern, tun dies, weil sie sie noch nicht gut verdauen können. Ihnen die leichtverdauliche Muttermilch zu entziehen damit sie essen, löst das Problem der eingeschränkten Verdauung nicht, sondern verstärkt es eher. Ein einseitiges Verlangen nach Getreideprodukten und Zucker lässt auf eine gestörte Darmflora inklusive Candida-Fehlbesiedlung schließen. Ein Kind von Ungesundem wegzubekommen und gesündere Lebensmittel einzuführen, dauert seine Zeit und erfordert gute Nerven. Dem Zahnarzt muss man vom Stillen ja nichts erzählen.
- Einen Zahnarzt suchen, der die gewählte Herangehensweise unterstützt.
- Kein Stress bei Zahnputzverweigerern. Ein mit allem gut versorgter Körper reinigt Mund und Zähne selbst. Dafür ist der Speichel zuständig. Außerdem gibt es den sog. dentinal fluid transport. Dabei wird Flüssigkeit in die vielen kleinen Zahnkanälchen im Zahn transportiert und spült den Zahn von innen nach außen. Ein Ungleichgewicht im Körper (durch falsche Ernährung und Stress) kann diesen Fluss allerdings umkehren und „Dreck“ aus dem Mund in den Zahn spülen. http://www.dr-jacques-imbeau.com/PDF/Dentinal%20fluid%20transport%20and%20caries.pdf Die Kariesbakterien sind dann nur Trittbrettfahrer, die sich von den Abfallprodukten ernähren, die beim Zahnverfall anfallen. Sie sind aber nicht die eigentliche Ursache. Ist der Körper im Gleichgewicht, ist Zähneputzen streng genommen also nicht notwendig, um Kariesfreiheit zu erhalten. Nur wenn ein Ungleichgewicht vorliegt, hat Zähneputzen einen gewissen Nutzen, da es die Reinigungsfunktion übernimmt, die der Körper in seiner beeinträchtigten Situation nur bedingt ausführen kann. Es erscheint daher effektiver, über eine optimale Nährstoffversorgung eine gute Eigenreinigung der Zähne zu fördern. Liegen Schmelzdefekte vor, hat das mit Putzen oder Nicht-Putzen gar nichts zu tun. Von Geburt an schlecht angelegter Schmelz verbessert sich nicht durch häufiges Putzen (und leider auch nicht durch andere Maßnahmen).
- Cool bleiben. Der Zustand seiner Zähne kümmert das Kind in der Regel wenig bis gar nicht – obwohl man als Mutter schlaflose Nächte durchmacht. Die meiste Milchzahnkaries bleibt beschwerdefrei, auch wenn sie nicht behandelt wird. Das gern von Zahnärzten gemalte Szenario: Alles wird immer schlimmer, wenn man nicht sofort eingreift, ist selten und ereignet sich eigentlich nur, wenn Nährstoffversorgung und/oder Zahnsubstanz sehr schlecht sind. Zum Glück kommen irgendwann die neuen Zähne und die sind, entgegen aller Unkenrufe der Zahnärzte, in der Regel makellos, auch wenn der darüber befindliche Milchzahn eine Ruine war.
Disclaimer: Ich bin Mutter von acht Kindern und habe ein abgeschlossenes Medizinstudium. Ich bin keine Zahnärztin. Was ich über Zähne weiß, habe ich in Begleitung der Zahnprobleme bei mir und meinen Kindern gelernt und recherchiert. Ich stelle euch dieses Wissen zur Verfügung, um euch zu einer ganzheitlicheren Betrachtung von Zahnproblemen zu ermutigen. Dabei kann ich natürlich nicht die Verantwortung für eure Entscheidungen diesbezüglich übernehmen. Ich hoffe aber, dass es euch und euren Kindern zu gesünderen Zähnen und weniger Stress beim Zahnarzt verhilft.
Eure Sarah Schmid