Heute teile ich mit Euch eine Geschichte aus meiner Feder bzw. Tastatur. Unser sechstes Kind braucht zwar noch ein paar Monate, bis es auf die Welt kommt, aber meine Schwester hat gerade ihr Baby bekommen. Ihr erstes. Und das war ein ganz schöner Brocken. Doch ich erzähle mal der Reihe nach:
8.4.2016
Für heute hat meine Schwester ihren Geburtstermin ausgerechnet. In der Schwangerschaft hat sie sich von einer Hebamme betreuen lassen und dabei auf Ultraschall und Blutabnahmen verzichtet. Die Geburt will sie allein mit ihrem Mann machen. Ich soll sie dann im Wochenbett unterstützen. Das Baby ist noch nicht da, aber die Ferienwohnung ab heute gebucht. Ich fahre also mit allen Kindern im Gepäck in meine alte Heimatstadt. 6 Stunden Fahrt – irgendwie gehen sie rum. Die Ferienwohnung liegt zentral und in der Nähe meiner Schwester. Hier quartieren wir uns für die nächsten zwei Wochen ein. Meine Mutter stößt zu uns und wird uns in der nächsten Zeit unterstützen. Mein Mann will eine Woche später dazu kommen.
Letzte Nacht hat meine Schwester fiese Zahnschmerzen bekommen, so dass sie nur schwer schlafen konnte. Ein Zahn mit tiefer Füllung, der seither schon immer etwas sensibel war. Zum Glück kennt sie die Ernährungsprinzipien nach Weston Price. Damit war sie in der Schwangerschaft eher nachlässig. Jetzt gibt sie alles, um die Wurzelbehandlung abzuwenden. Und über die nächsten Tage klingen die Zahnschmerzen tatsächlich ab, pünktlich bis zum …
12.4.2016
Blasensprung um 1.00 Uhr nachts! Es geht los. Denken wir. Denn Wehen sind auch bis zum Abend nicht in Sicht. Erst nachts nehmen sie etwas Fahrt auf, alle 6-8 Minuten, flauen zum Morgen aber wieder ab.
13.4.2016
Die Wehen sind wieder verschwunden. Nachmittags nehme ich meine Schwester mit auf einen langen Spaziergang, in der Hoffnung, Bewegung in die Sache zu bringen. In der folgenden Nacht schon kräftigere Wehen, aber auch die sind morgens verschwunden.
14.4.2016
Tagsüber zum Teil schon etwas stärkere Wehen. Wir vertreiben uns die Zeit. Meine Schwester ist guten Mutes, meint, dass Baby hat ihr sicherlich Zeit gegeben, bis die Zahnschmerzen ganz verschwunden sind. Ich äußere den Verdacht, dass das Baby ungünstig liegen könnte und es deshalb so schleppend geht. Aber davon will meine Schwester noch nichts wissen.
In der Nacht dann heftige Wehen bis alle 1-2 Minuten. Sie erwarten die Geburt, rufen eine Freundin dazu, die meine Schwester gern dabei haben will. Aber trotz durchwachter und durchwehter Nacht kein Baby.
15.4.2016
Heute wird meine Schwester 30! Früh um 7 Uhr klingelt mein Handy. Müde und ernüchtert erzählt sie mir von der letzten Nacht und fragt mich, was wir noch tun können. Ich ziehe die Kinder an, überlasse sie meiner Mutter und fahre hin. Um 9 Uhr bin ich da. Taste zuallererst einmal, wie das Baby liegt. Der Kopf unten und im Becken, der Rücken links. Auf den ersten Blick eine gute Lage. Aber im Nabelbereich taste ich eine Delle. Ich erinnere mich, was ich im Buch „Optimierung der Kindslage“ (Sutton) gelesen habe. Das Baby liegt gut, wenn der Bauch der Frau am bzw. kurz unter dem Nabel rund und fest ist. Tastet man dort eine Delle, deutet das auf eine potentiell ungünstige Lage hin. Dann ist der Rücken des Babys nicht weit genug vorn für eine schnelle Geburt. Diese Seite erklärt das ganze mit schönen Bildchen: http://wellroundedmama.blogspot.de/2009/04/belly-shape-and-fetal-position.html Auf deutsch würde man die Lage, die das Baby meiner Schwester eingenommen hatte, wohl als seitliche Hinterhauptslage bezeichnen. Der Kopf des Babys liegt quer, der Rücken zeigt nach links. Dass der Kopf sich quer ins Becken einstellen muss, ist klar, das haut hin. Aber wenn dabei der Rücken seitlich oder auch nach hinten liegt, kann das Baby – bedingt durch die anatomischen Verhältnisse im Becken – den Kopf nicht gut auf die Brust nehmen und schiebt ihn in einem größeren Durchmesser nach unten. Und das macht die Sache unter Umständen sehr schwierig. Nachforschungen zufolge scheint diese Lagevariante im Deutschen nicht gesondert wahrgenommen zu werden. In Englischen wird sie als Left Occiput transverse (LOT) bezeichnet. Eine geburtsfähige Lage, aus der sich viele Babys noch mit dem Rücken nach vorn in die günstige vordere Hinterhauptslage drehen. Aber wenn das Baby das nicht macht, ist eine solche Geburt im Schnitt ähnlich kompliziert wie eine Sternguckergeburt (Geburt aus hinterer Hinterhauptslage = Baby mit Rücken nach hinten). Vor allem, wenn bestimmte Faktoren gegeben sind, die auch meine Schwester aufweist: großes Baby, Erstgebärende und wahrscheinlich etwas schmales Becken. Manche betrachten diese Lagevariante deshalb auch als eine Form der hinteren Hinterhauptslage. Das ganze erklärt jedenfalls den Blasensprung ohne Wehen, den langsamen Start und die anstrengende, lange Geburt bisher. Solche Geburten laufen typischerweise so ab.
So weit so gut zur Theorie. Ich weiß: Hier müssen wir alles versuchen, um das Kind noch irgendwie zu drehen. Allerdings schwierig, da der Blasensprung schon stattgefunden hat (Fruchtwasser wirkt als Drehung-erleichterndes Polster) und die Wehen das Kind auch schon stundenlang in die falsche Richtung gedrückt haben.
Eigentlich habe ich von allem viel theoretisches Wissen, aber kaum praktische Erfahrung. Aber zu verlieren gibt es nichts. Die Hebamme empfiehlt nur, ins Krankenhaus zu fahren. Aber was da passiert, wissen wir schon. Da wird nicht lange gefackelt mit Antibiotika und Kaiserschnitt. Dort lässt man eine Geburt niemals so lange laufen. Der Blasensprung ist nun mehr als drei Tage her. Aber meiner Schwester geht es ansonsten gut, kein Fieber oder ähnliche Anzeichen einer Infektion, das Kind bewegt sich munter, Fruchtwasser unauffällig. Und sie ist bereit, alles zu tun, damit es doch noch klappt. Also turnen wir, was ich mir auf spinningbabies.com und mit dem Rebozo (mexikanische Massagetechnik mit Hilfe eines Tuchs) abgeschaut habe. Sie findet auch die Beckenpresse angenehm (habe ich mir von der Hebamme Ina May Gaskin gemerkt), die das Becken nach unten weiter macht und die dann ihr Mann während jeder Wehe übernimmt. Treppensteigen scheint ebenfalls ganz wirksam zu sein. So arbeiten wir uns bis um 12 Uhr durch die Wehen. Dann beschließen wir eine Mittagspause. Ich fahre zur Ferienwohnung. Nach dem Essen versuche ich, noch ein Stündchen zu schlafen, aber mir gehen zu viele Sachen durch den Kopf. Als ich um 14 Uhr wieder hinfahre, ist das Baby an dem Hindernis vorbei, an dem es bis dahin gehangen hat und endlich tiefer gerutscht. Erleichterung. Die Geburt geht nun voran. Mit Turnen, Tanzen und Massage lässt sich meine Schwester trotz Erschöpfung bei Laune halten. 15.30 Uhr endlich die ersten Presswehen. Zunächst sieht es aus, als wäre das Baby nun gleich da … aber dann geht es irgendwann wieder nicht weiter. (Auch typisch bei dieser Lage, da das Baby mit einem größeren Durchmesser heraus muss und sich der Kopf dafür stärker verformen muss. Das dauert.) Meine Schwester ist nicht nur erschöpft, sondern langsam auch desillusioniert. Das Pressen schmerzt im Rücken und scheint nichts zu bringen. Um 19 Uhr bin ich auch erst mal fertig und fahre heim. Abendessen. Kinder ins Bett bringen. Ich überrede meine Mutter zu übernehmen. Ich bin einfach nicht mehr frisch nach einer 5-Stunden-Nacht wegen hustendem Kind und den vielen Stunden Turnen und Massieren.
Meine Mutter ist dann bei ihr und hält sie noch eine Weile bei Laune, obwohl meine Schwester nicht mehr will und kann. Aber das Krankenhaus fürchtete. Irgendwann ist sie zu erschöpft und entscheidet sich doch für die Verlegung.
16.4.2016
Um 0.15 Uhr, fast 4 Tage nach Blasensprung und nach fast 9 Stunden Presswehen, fahren sie in die Klinik. Meine Mutter hält mich per Handy auf dem Laufenden. Da man im Krankenhaus so lange nach Blasensprung gern Panik schiebt, erzählen sie eine abgemilderte Geschichte mit Blasensprung vor 2 Tagen und lassen auch die Details unserer Turnstunden weg. Die Hebammen dort sind erstaunlich nett und motiviert – und der Kreißsaal ansonsten leer. Die Oberärztin hatte selbst eine Hausgeburt, erzählt sie. Man befindet, dass das Baby durchaus normal geboren werden kann. Mit Wehentropf, in Käferstellung (Rückenlage) und mit klassischem Press-Coaching wird das Baby eine gute Stunde später geboren. Es hat sich derweil in die vordere Hinterhauptslage gedreht (so, wie ich gelesen hatte, dass viele Babys aus dieser Lage das noch tun, wenn der Kopf auf Beckenbodenebene angekommen ist), kommt also ganz normal zur Welt. Durch die lange Geburt – und vielleicht auch mit durch den Wehentropf – verliert meine Schwester 1,6 l Blut. Aber sonst ist alles gut. Ein Baby von fast 4 kg, 53 cm Länge und mit 36 cm Kopfumfang.
Weil der Blasensprung länger her war, soll Blut aus der Nabelschnur entnommen und auf Entzündungswerte untersucht werden. Meine Schwester besteht auf Auspulsieren der Nabelschnur und das nötige Blut wird aus der Plazenta gewonnen. Ein Wert, der allerdings nicht sehr aussagekräftig ist (Interleukin 6), ist erhöht und das reicht der Kinderärztin, um drastische Maßnahmen ergreifen zu wollen – unter Androhung von Tod und Verderben, falls man ihr das Kind nicht in fünf Minuten mit auf Kinderstation zur Antibiose mitgibt – für mindestens 3 Tage. Meine Schwester und ihr Mann lehnen ab, da das Kind völlig unauffällig ist. Sie einigen sich auf einer Verlaufskontrolle (regelmäßige Kontrolle der Körpertemperatur und Blutwerte ein paar Stunden später). Alles ist dann auch ganz normal. Am Nachmittag lässt meine Schwester sich nach Hause entlassen. Bleich aber sehr froh, dass alles trotzdem ohne Kaiserschnitt oder sonstige Schnitte und auch ohne Gewalt verlaufen ist. Eine Freundin hatte in selbigem Krankenhaus nämlich eine ganz andere Geschichte erlebt, mit gewaltätigem Kristellern (auf den Bauch drücken) und heftigen Verletzungen der Geburtswege. Vielleicht lag’s mit daran, dass sie dort die Hebamme meiner Schwester gut kannten …
Die frischgebackene Familie sechs Tage nach der Geburt:
Mein Fazit:
- Kindslage ist wichtig, aber eine Schädellage allein garantiert keine reibungslose Geburt. Leider haben da auch viele Hebammen offenbar nicht viel Ahnung. Dabei muss man nicht unbedingt ein Kindslagebestimmungsprofi sein. Kann man in Rückenlage eine Delle in/unter der Nabelgegend tasten? Taste mal, wo der Rücken liegt, fühle, wo die Füße treten und werde Dir – wenn nötig mithilfe einer erfahrenen Hebamme – klar, wie genau das Baby liegt. Liegt es tatsächlich nicht optimal, dann gibt es Übungen, die man machen kann, um den Rücken des Kindes weiter nach vorn zu drehen.
- Je früher man eine ungünstige Lage entdeckt, desto besser. Am besten, bevor das Kind sich mit dem Kopf ins Becken senkt und bevor die Blase springt, denn das macht eine Drehung sehr viel schwieriger. Am besten aber, bevor die Geburt beginnt und man noch in aller Ruhe daran „arbeiten“ kann. Dann hat man sehr gute Chancen, stressfrei und erfolgreich die Kindslage durch gezielte Übungen zu verbessern. Ich vermute auch, dass meine Schwester die Kraft gehabt hätte, die Geburt ohne Krankenhaus zu beenden, wenn wir mindestens einen Tag früher angefangen hätten, das Kind herunterzuturnen.
- Es ist wichtig, zu wissen was man will, und dabei das nötige Wissen dafür zu haben. Wäre meine Schwester nach Blasensprung und ohne Wehen ins Krankenhaus gegangen, wie man es hierzulande empfiehlt, sie wäre ohne Kaiserschnitt nicht aus der Geschichte herausgekommen – so wie es vielen anderen Frauen ergeht. Dabei ist ein Abwarten nach Blasensprung nicht riskant, solange die Mutter kein Fieber bekommt, sich wohl fühlt, gut isst und trinkt und die Kindsbewegungen im Blick hat. Das Vermeiden vaginaler Untersuchungen und das heimische Keimmilieu wirken zusätzlich als Schutz.
- Glaube und Gottvertrauen geben Kraft und machen Unmögliches möglich. Meine Schwester glaubte daran, dass Gott bei ihr ist und sie nicht im Stich lässt. Während der Geburt gab es viele Leute, die für sie und einen guten Ausgang gebetet haben. Manche Umstände kann man nicht beeinflussen. Da ist es gut, sich in den Händen unseres liebevollen Vaters zu wissen.
Hinweis: Nicht alle Geburten aus hinterer oder seitlicher Hinterhauptslage verlaufen wie bei meiner Schwester, aber es ist ein gängiges Muster. Viele Faktoren beeinflussen zudem, ob und wann sich das Baby bei der Geburt noch dreht oder ob es auch aus dieser Lage leicht geboren wird. Bei manchen Frauen klappt es trotz guter Körperhaltung und Turnen nicht mit dem Dreh, weil ihr Becken nicht optimal geformt ist. Aber auch da kann das Baby mit Zeit, Geduld und Vertrauen meist geboren werden. Bei anderen Frauen (in der Regel, wenn es nicht das erste Kind ist) schlüpfen Babys aus dieser Lage mühelos durch’s Becken. Also keine Panik, wenn ein Baby sich trotz aller Mühe vor der Geburt nicht drehen will! Eine aufrechte Körperhaltung und freie Bewegung unter der Geburt sind allerdings in jedem Fall hilfreich – und Zeit und Geduld unter Umständen der entscheidende Faktor.
Nachtrag: Wie gesagt bin ich (leider) vor allem Theoretikerin. Falls hier eine mit diesem Thema erfahrene Hebamme, Doula oder Mama drüberstolpert, freue ich mich über Erfahrungsberichte, Tipps oder Korrekturen.