Ihr Lieben! Ich habe die Ehre, eine Zwillingsgeburt in Eigenregie mit euch zu teilen. Es ist die vierte Geburt dieser Mama, bei der sie bewusst und gut informiert ihre Zwillinge zu Hause im Pool geboren hat. Einfach Frauenpower pur! 😀
Drei Dinge vorweg, die mich sehr geprägt haben und somit großen Einfluss auf die Geburtsentscheidung hatten:
Meine Mutter wollte mich als Hausgeburt zur Welt bringen (sie kannte von ihrer Mutter nichts anderes). Mein Vater hatte große Angst vor Komplikationen, also ließ sich meine Mutter von ihm ins Krankenhaus bringen. Dort kam ich als unkomplizierte Spontangeburt (zwar mit unnötigem Dammschnitt) in den frühen Morgenstunden zur Welt. Ich wurde abgenabelt, meiner Mutter kurz gezeigt und weg war ich. Erst abends als meine Mutter Fieber und eine Brustentzündung bekommen hatte (am 1. Tag!) hat man mich wieder zurückgebracht. Das war unser Bonding. Und ja, wie wichtig das Bonding ist merkt man erst wenn man keines hatte …
Ich wurde als Kind missbraucht. Lange Zeit habe ich dieses Ereignis verdrängt, bis es sich gewaltsam an die Oberfläche meines Bewusstseins gekämpft hat. Es folgten alle möglichen Arten von Therapien – mittlerweile bin ich mit dem Ereignis an sich im Reinen (glaub ich halt, aber das Unterbewusste ist schlau! ;-)), lediglich in gewissen Situationen (z.B. gyn. Untersuchung) kommt Panik auf. Mittlerweile bin ich alt genug, um mich und meinen Körper nicht mehr zu belügen („Es ist alles in Ordnung … alles ist gut …“ während der Untersuchung), ich lasse mich einfach nicht untersuchen – wozu auch? Ohne Beschwerden gehe ich nicht zum Frauenarzt. Nur in den Schwangerschaften holt mich das Thema regelmäßig ein (Mutter-Kind-Pass-Untersuchung und Bezug von Kinderbetreuungsgeld sind in Österreich gekoppelt und noch kann ich es mir nicht leisten darauf zu verzichten), allerdings bin ich seit der zweiten Schwangerschaft auf sehr verständnisvolle Ärzte getroffen, die mich so weit in Ruhe ließen. Noch eine Sache ist mir geblieben: eine extreme Schreckhaftigkeit (die Tür geht auf, mein Partner oder sonst wer Vertrauter kommt rein, ich sehe ihn und krieg fast einen Herzinfarkt …)
Ich bin eine HSP, eine hochsensible Person. Dass ich „anders“ bin (kompliziert, mimosenhaft, dünnhäutig … waren gebräuchliche Ausdrücke in meiner Kindheit und Jugend), weiß ich schon lange. Dass es dafür sogar eine eigene Bezeichnung gibt habe ich erst in dieser Schwangerschaft entdeckt. Wie als HSP im Krankenhaus gebären? Wie mich öffnen?
Im Dezember war ich zur ersten MuKi-Untersuchung bei meiner Frauenärztin. Im Ultraschall war allen sofort klar, dass es Zwillinge sind. Meine Ärztin murmelte noch etwas von, dass das oft bei Vierzigjährigen passiert und dann fing das Dilemma an: „Wir müssen schauen, dass wir bis in die 32. Woche kommen! Sie müssen ab der 15. Woche Utrogestan einführen! Machen sie sich keine Sorgen was da im Beipacktext steht, sie nehmen es ja nicht oral ein …“ Wie bitte? Gerade eben habe ich erfahren, dass ich mit Zwillingen schwanger bin und schon muss ich mir Sorgen um eine Frühgeburt machen???
Um die Welt wieder ins Lot zu bringen, traf ich mich mit einer Hebamme, wechselte den Frauenarzt und recherchierte im Internet. Dort fand ich Interessantes: fast 50% der Zwillingsgeburten kommen zw. der 38. und 41. SSW! Beinahe wieder die Hälfte kommen zwischen der 32. und 37. SSW (wie unfair: in einem Zeitraum von 3 Wochen kommt die eine Hälfte und in einem Zeitraum von 6 Wochen die andere) und ein kleiner Prozentsatz vor der 32. SSW. Aha, also alles nicht so dramatisch. Der ET ist der 21.6.2017, an den halte ich mich!
So, nächste Frage: wo gebären? In Österreich sind Zwillings-Hausgeburten nicht zulässig, das heißt nach drei Hausgeburten muss ich nun ins Krankenhaus! Die nächste Hiobsbotschaft: Dort „darf“ ich aber nur vaginal entbinden, wenn beide Babys in Schädellage sind! Auch wenn sich nach der Geburt des ersten Babys das zweite in eine Beckenendlage begibt wird ein Kaiserschnitt gemacht! Das nächste Krankenhaus, das Beckenendlagen entbinden kann ist ein Privates, zwei Stunden entfernt und man muss sich beim zuständigen Arzt dafür bewerben(!). Ok, über die Grenze gäbe es noch ein KH, das BEL entbinden kann. Sectioraten unter 10%, wenig Dammschnitte (ich glaub 1-2%), schon mal nicht schlecht … bleibt nur die Frage, WIE ich dort mit meiner Vorgeschichte gebären soll …
Nachdem ich auch keine Hebamme finden konnte, die mich ins KH begleiten wollte, fiel im Feber die Entscheidung zur Alleingeburt. Ich recherchierte im Internet und las jede Menge Bücher zum Thema (Schmid, Rockenschaub, Gaskin, Schenk, Odent). Ich wurde immer sicherer in meiner Entscheidung. Immer wieder fragte ich bei meinem Partner nach, ob wir „eh noch auf Kurs sind“, ob er irgendwelche Ängste hat. „Was ist wenn was passiert?“ kam ganz oft. Aber nachdem ich auf jede Eventualität eine Antwort hatte, wurde auch mein Partner ruhiger. Immer wieder fokussierte ich den 21. Juni – Sommersonnenwende. Jeder Zweifler und Frühgeburtsbefürchter, der meinen Weg kreuzte, wurde gnadenlos mit einem „Die Babys kommen am 21. Juni – ich gehe über die volle Distanz!“ zum Schweigen gebracht. Ich freute mich an meiner Schwangerschaft und genoss die Bewegungen der Kinder. Über meine Alleingeburtspläne hüllte ich mich in Schweigen (Alleingeburten sind in Österreich nicht zulässig und ich wollte mich nicht den Ängsten anderer aussetzen). Nur mein Partner und zwei ausgewählte Freundinnen waren eingeweiht. Nach und nach tat es mir immer mehr weh, andere Freundinnen zu belügen. Kurz vor der Geburt wussten dann auch die Kinder Bescheid, die Kleinen zwei sollten schließlich keine Angst haben falls ich laut werden sollte.
Laut österreichischem Gesetz muss frau, sofern sie zur Geburt keine Hebamme beiziehen kann, ehestmöglich eine Hebamme für das Wochenbett hinzuziehen. Die Hebammensuche für das Wochenbett gestaltete sich ausgesprochen schwierig: in Karenz, zu einer weiter entfernten Hausgeburt gebucht, keine Kapazitäten, zwei Monate Pause… Endlich wurde ich fündig und wir vereinbarten ein Treffen. Dort ging es um alle möglichen Eventualitäten. Am nächsten Tag wollte sie mich anrufen um mir mitzuteilen ob sie mich „nehmen würde“. Sie wollten einen speziellen Kinderarzt, einen direkten Coombstest und einen Organ-Ultraschall. Ich sagte „Nein“ und stand wieder ohne Hebamme da. So ähnlich gestaltete sich auch der Kontakt mit der nächsten Hebamme. Dazu kamen zwei absolut inkompetente Kommentare von Seiten der Hebamme („Die beckenbodenschonendste Gebärhaltung ist im Liegen“, „Stützstrümpfe sollen auch in der Nacht getragen werden“). Ich ärgerte mich darüber, dass ich mit ihr zwei Behandlungsverträge abschließen sollte und dass diese Hebamme auch noch privat zu zahlen wäre. Wieder sagte ich ab und stand 6 Wochen vor der Geburt „alleine“ da. Schlussendlich fand ich eine Hebamme mit 30 Jahren Berufserfahrung und Anstellung in einem Krankenhaus, die mich ohne ein Treffen im Vorfeld, ohne viele Worte, ohne Auflagen, ohne irgendwas einfach „nahm“. Alles erledigt, endlich Ruhe.
Am 9. Juni war Vollmond, ein starker Vollmond. Ich glaube, das war der Zeitpunkt an dem die Geburt startete. Von da an hatte ich immer wieder mal Wehen, das Ilio-Sacralgelenk lockerte sich so sehr, dass ich es beim Gehen merkte, die Babys drückten auf den Ischias … alles in allem immer wieder etwas aber nichts dramatisches.
Am 14. Juni um 3:40 Uhr werde ich von Wehen geweckt. Hm, sind das Wehen? Ich schlafe wieder ein. Geburtswehen? Weiterschlafen. Geht es los? Ich stehe auf. Wie schon bei der Geburt unseres dritten Kindes lese ich im Internet nach wie denn nun Geburtswehen sind. Aha, lang und regelmäßig. Könnte sein oder aber auch nicht. Ich ärgere mich noch etwas darüber, dass ich bis zum Aufwachen der Kinder nur mehr so wenig Zeit habe, ich wollte doch alleine sein in der Eröffnungsphase. Immer wieder muss ich aufs WC, Durchfall. Irgendwann akzeptiere ich jedoch die Umstände und beginne den Geburtspool aufzublasen und die ganzen Utensilien (Handtücher, ein „Trockenplatz“, Geburtskerze, Öl …) bereitzulegen. Dabei singe ich bei den Wehen mit („Angel of Hope“). H. kommt herein, was ich da mache. „Ich glaube es geht los“. Er hilft mir. Wir brauchen ewig. Irgendwas klappt beim Poolaufblasen nicht so wie es soll und im Boiler ist nur 40° warmes Wasser. Wir wärmen das Wasser mit dem Wasserkocher und dem Herd. Endlich passt die Temperatur. Ich gehe rein „Aaaah, fein“. H frühstückt mit den Kindern. Immer wieder pendele ich zwischen WC und warmem Wasser. Manchmal ist mir etwas schlecht. Übergangsphase? Schon? Kann nicht sein. Alles irgendwie so unspektakulär. Ich bin doch grad erst in den Pool. Immer wieder auch mal eine Wehenpause. Dann wieder eine einzelne Wehe. Irgendwie weiß ich nicht, wie weit ich schon bin. Beim nächsten Klo-Gang taste ich meinen Muttermund. He, da ist ja schon der Kopf mit der Fruchtblase! Wie samtig-weich sich das anfühlt! Trotzdem mache ich weiter mit WC, Pool, Singen, „JAAAAA!“-Rufen, „Ich bin unendlich weit“-Denken. Irgendwie ist alles so ohne großen Aufwand. Bin felsenfest davon überzeugt noch in der Eröffnungsphase zu sein.
So jetzt reicht’s, ich taste noch einmal den Muttermund. Der Kopf ist schon wieder weiter, Muttermund kann ich keinen mehr spüren (wie denn auch :-)). Ob ich mal mitschiebe? Beherzt drücke ich an und es ist einfach nur genial. Jaaaa, mehr, ich will mehr!!!! Pure Lust. Ich genieße es, gebe mich dem Moment voll und ganz hin. Das Mitschieben geht leicht, ein kurzer Plopp und der Kopf ist da. Ich spüre noch immer keine Presswehen also mache ich weiter. Jaaa, noch meeeehr, meeeehr, ich will mehr davon…
Plötzlich ist das Baby da! Ich fange es und drehe es zu mir. Es schlägt die Augen auf und betrachtet mich durch das Wasser. Langsam hebe ich es hoch. H. kommt herein. Das Baby beginnt zu Schreien, gepresst, das ist gut. ich habe es an meinem Oberkörper und wiege es leicht. Es ist schön rosa. H holt die Jungs und bringt ein Handtuch für das Baby. „Ma, die Uhrzeit!“. H revidiert auf 8:50 Uhr.
Das Zweite will raus, ich spüre es deutlich. Jetzt schon? „Was ist es?“ will H wissen. Ich kann nicht nachschauen, das Baby weint, ich möchte es beruhigen, das Zweite will raus, aber ich will mit dem Ersten noch kuscheln, aber das Zweite kann nicht warten, keine Ahnung ob sich seine Plazenta schon löst, die Nabelschnur vom ersten ist nicht lang genug, dass H es außerhalb des Pools halten kann … Ok, dann halt keine Lotusgeburt, ich nable erst mal ab. Während H die Schere holt, schaue ich nach. „Ein Mädchen!“ „Was, echt?“. H kann sein Glück nach drei Jungs nicht fassen. Ich schneide die Nabelschnur durch, es kommt etwas Blut. Mist, ich hätte abbinden sollen. Ich wickle sie in ein trockenes Handtuch und reiche sie H.
Ich drehe mich zur Poolwand und schiebe mal darauf los. Das erste Schieben ist anstrengend und dann kommt sie wieder, diese riesengroße Lust. JAAAAAA, meeehr, noch mehr …! Ein größeres, gleitendes „Plopp“ und der Körper ist geboren. Oh, also wirklich eine Steißlage, ich habe richtig getastet. Und noch in der Fruchtblase! Da der Körper bis zum Hals geboren ist, packe ich das Bündel und schiebe noch mal an. „Flupp“, der Kopf ist da. Ich stecke meine Hände durch einen länglichen Riss in die Fruchtblase und wickle das Kind heraus. Das Poolwasser färbt sich rot. Ich hebe das Baby hoch. Es hat Blut am Kopf. Es streckt seine Arme aus und schaut. Ich nehme es zu mir, es schluckt. Es schaut und schluckt, wird bläulich. H wird nervös. Ich reibe dem Kind den Rücken, taste die Nabelschnur, pulsiert sie? Ich sauge es ab, komme aber nicht richtig dazu. Endlich ein kleiner, blubbernder Schrei, wenig, aber es reicht. Ok, passt, alles gut. „Die Uhrzeit!“. H hat sie notiert. Einer der Jungs bringt mir ein Handtuch. „Noch ein Mädchen! H, du hast ZWEI Mädchen gezeugt!!!“ Freude. Ich begebe mich auf meinen Trockenplatz. H bringt mir unsere erstgeborene Tochter, sie saugt bereits an ihrer Faust. Ich lege sie an und beschere mir damit heftigste Nachwehen. Die Zweitgeborene ist mit Atmen beschäftigt. Die Nachwehen sind stark und schmerzhaft, ich lehne meinen Kopf auf die Armlehne der Couch und stöhne. Gottseidank- kurze Pause. Oh nein, nicht schon wieder! Ich versuche herauszufinden, ob ich stark blute, kann mich mit den Mädchen im Arm aber nicht wirklich bewegen. Und diese Nachwehen … ich vergehe fast vor Schmerz.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ist unsere erste Tochter eingeschlafen. Ich reiche sie H. Mit der zweiten Tochter trinkend am Arm begebe ich mich auf die Decke vor dem Pool. Ich drücke an, bei den Schmerzen muss die Plazenta doch schon gelöst sein. Nichts passiert. Ich versuche zu tasten, keine Chance, zwei Nabelschnüre und die Fruchtblase hängen aus mir heraus. Nach mehreren Pressversuchen lese ich nach. Aha, wenn die Plazenta nicht kommen will, kann man vorsichtig an der Nabelschnur ziehen, bei Schmerzen sofort aufhören. Ok, ich ziehe mal … und wirklich, die erste Plazenta fällt aus mir heraus. Sie ist groß und hat auf der einen Seite ein ziemlich großes, flaches Blutkoagel. Aha, das war die Loslösungsblutung. Für die zweite Plazenta ziehe ich an Nabelschnur und Fruchtblase gemeinsam. Keine Schmerzen, ein „Flopp“ und die zweite Plazenta ist geboren. Ich lasse unsere zweitgeborene Tochter fertig trinken und wickle ihre Plazenta für die Lotusgeburt in ein Handtuch. Nachdem ich mich mit einer Einlage versorgt habe, ziehen wir um ins Bett im ersten Stock. Ich gehe etwas unsicher, irgendwie ist alles locker und schwabbelig.
Zu Mittag rufe ich die Hebamme für das Wochenbett an. Ich erreiche sie nicht, schreibe ihr eine Nachricht, dass die Babys da sind und wir es nicht mehr ins Krankenhaus geschafft haben. Abends ruft sie zurück und erklärt, dass ich jetzt die Rettung rufen muss und mich mit den Kindern ins Krankenhaus begeben muss. „Sicher nicht!“ Na ja, ich sei ja eigenverantwortlich. Sie kommt am nächsten Tag in der Früh. Sie begrüßt mich mit den Worten „Also, offiziell darf ich das ja nicht gut heißen, aber Hut ab, wie gut sie das gemacht haben!“. Die Kleinen werden gewogen und vermessen: Beide je 3000 g schwer und 50 cm lang. Ich bin stolz auf meinen Körper, auf diese Meisterleistung. Da die Hebamme bei der Geburt nicht anwesend war, möchte sie auch keine Geburtsanzeige für das Standesamt ausstellen. Sie schreibt einen formlosen Zettel mit allen Daten und ihrem Stempel darauf. Wir verabreden uns auf einen weiteren Hausbesuch in 5 Tagen. In der Zwischenzeit hat sie mit dem für ihr Krankenhaus zuständigen Standesamt Kontakt aufgenommen und der Standesbeamte meint, sie solle doch die Anzeige machen, sie wäre ja als Erste da gewesen. Vielen, vielen Dank! Ich juble, auch dieser Teil gut gelöst! Jetzt sind wir also zu siebt!
Lieber H, danke, dass du mich in meinen Plänen so unterstützt hast, dass du mich gelassen hast wie ich wollte, ohne große Diskussion. Und danke, dass du alles wieder abgebaut hast, ich weiß, wie schwer es dir gefallen ist. In Liebe S