Ihr erstes Kind kam in der Klinik als Beckenendlage aber dennoch auf normalem Weg zur Welt – eine Geburt, die sie als sehr fremdbestimmt und traumatisch erlebte. Ihr nächstes Kind wurde dann eine geplante Alleingeburt. Hier berichten jeweils die Mama und der Papa aus ihrer Sicht von den Ereignissen:
Ellas freie Geburt – Januar 2018
Und dann die nächste Wehe: «Naaaaaain! Naaaaain! Naaaain!» (eigentlich müsste ich ja ein langes «Jaaaa» tönen aber das war nun wirklich zu viel verlangt. Also wenigstens das <a> im «Nein» schön lang ziehen… Unterkiefer locker lassen! Lass los! Lass es geschehen. Es gibt nur eine Richtung in die das hier gehen kann und das ist raus!
Mein Körper bäumt sich auf und endlich ist der Kopf geboren. Wow – ich berühre den Kopf meines Babys zwischen meinen Beinen! Kurze Pause – was für ein Wahnsinnsgefühl – ein Moment zwischen Himmel und Erde – halb geboren – die Zeit steht still, die Sekunden tickern vorbei. Und dann die letzte Wehe, die Drehung der Schultern und schwupps! Ich schnappe mir mein Baby, entferne eine halbe Eihaut, in der noch ein Arm und ein Bein drinstecken, will es hochnehmen. Moment, geht nicht. Ein Blick: die Nabelschnur ist um den Hals gewickelt, abwickeln, aufpassen, dass das Köpfchen noch nicht über die Wasseroberfläche kommt, hochnehmen, geschafft. 4 Uhr 53, wie mir mein Mann später sagt.
Das Baby stößt sofort einen empörten Schrei aus – es atmet – puh, Erleichterung. Wir haben es geschafft! Das Baby schreit immer noch – war das nicht eine sanfte (ha ha…) Wassergeburt und du solltest mich jetzt nur völlig ruhig und entspannt mit großen Augen anschauen? (Scherz) Hallo mein Baby, ja, das war eine schnelle (4,5 Std.) und heftige Geburt. Du hattest mich ja eigentlich schon in der Schwangerschaft vorgewarnt aber ich hatte es vergessen (oder nicht glauben wollen). Da kann man sich nun schon mal beschweren. Du beruhigst dich, schaust mich an. Ja, schau nur, ich bin deine Mama. Ich hoffe, ich werde dir eine gute Mama sein. Ich verspreche, ich werde es zumindest versuchen (okay, die letzten zwei Sätze habe ich gerade beim Schreiben dazu gedichtet).
Wow, Wahnsinn, wir haben es geschafft!!! Ganz alleine! Nur mein Mann und ich. Genau so, wie ich es immer visualisiert hatte: Bei Nacht, bei uns im Wohnzimmer, im Pool, bei Feuerschein. Eine besondere Geburtskerze, ein Topf kleiner roter Rosen, meine Affirmationen und Erinnerungen für die Geburt und Musik (A Reva von Vaiteani), zumindest bis zur Übergangsphase, ab dann wollte ich sie nicht mehr. Nur die heftigen Wehen hatte ich so nicht geplant! Heilige Sch… NIE wieder, das hat keinen Spaß gemacht.
Um 23:15 schrieb ich noch meiner Hebamme «Alles ruhig hier, leichte Geburtszeichnung, vereinzelte Wehen über den Tag. Ich gehe jetzt erst mal schlafen». Gegen 0:30 Uhr kamen dann immer regelmäßigere Wehen und ich konnte nicht mehr liegen. Zu meinem Mann: «Ich gehe jetzt mal tanzen, schlaf du weiter».
Feuer, Musik, Kerze und Duftlampe an und getanzt – ganz kurz. Die Wehen waren sofort echt heftig – das kann ja so nicht weitergehen, die werden sich bestimmt wieder beruhigen. Vielleicht sollte ich meine Hebi anrufen? Was soll die denn jetzt machen? Da musst du selber durch.
Auf den Ball, Datteln gegessen, Kerze und Blumen angeschaut, gesungen und bei den Wehen schön das Becken kreisen lassen. Puh, die Wehen, ein ganz fieses Ziehen im Unterbauch, zerreißen mich fast. Ich weiß manchmal kaum noch wohin mit mir. Lass los, lass es geschehen! Ich versuche die Hypnobirthing-Atmung, langsames und tiefes Atmen in den Bauch und quasi dabei helfen, die längs verlaufenden Muskeln zu dehnen und so den Muttermund weiter hoch und auf zu ziehen. Es gelingt teilweise und lindert sogar etwas den Schmerz. Ich brauche aber mindestens drei solcher Atmungen pro Wehe.
Hallo, Baby, wie geht es dir? Beweg dich mal. Da, endlich, ein Tritt. Alles gut. Wir schaffen das. Wir sehen uns gleich!
Was kommt als nächstes? Sollte ich meinen Mann wecken bevor ich es nicht mehr bis in Schlafzimmer schaffe? Kurz darauf kommt er von selber. Es ist 2:30 Uhr. Er massiert mir den Rücken, hmmmm, das tut gut. “Tön doch mal, du tönst ja noch gar nicht richtig“. Oh, okay. Erst zaghaft, dann finde ich immer mehr Gefallen daran. Tiefes Tönen, tief in den Muttermund, das ihn fast zum Schwingen bringt. Das tut gut. Hilft aber nicht viel gegen die Schmerzen. Oh nein die nächste! Lass los! Lass es geschehen! Unterkiefer locker! Wenn ich dabei bin zu hoch zu werden beim Tönen, holt mein Mann mich wieder runter.
Plötzlich ist mir kalt. Der Ofen bullert aber ich klappere mit den Zähnen und ziehe mir eine Wolljacke über mein schönes rotes Kleid, dass ich extra für die Geburtstagsfeier meines Babys angezogen habe (Danke für die Inspiration Jobina Schenk). Die Übergangsphase, jetzt schon? Vielleicht sollte ich meine Hebamme anrufen? Was soll die denn jetzt machen? Da musst du selber durch.
3:00 Uhr. Ich bitte meinen Mann, den Pool volllaufen zu lassen. Eine halbe Stunde später (kam mir gar nicht so lang vor) ist er voll und ich steige hinein. Ooooh, wunderbar – ich fliege!! Plötzlich fühlt sich mein Körper so leicht an. Das Wasser trägt mein Gewicht, welche Erleichterung! Ich hocke mich an den Rand, halte meinen Bauch tief ins Wasser. Hmmmm …
Und schon kommt die nächste Wehe und die nächste und die nächste. Mein Mann sitzt vor mir, hält meine Unterarme, ich halte mich an ihm fest, nutze seinen Körper als meine Höhle, in die ich mich mit jeder Wehe beuge. Er atmet mit mir. «Tiiiief, laaangsam, lass los». Seine ruhige Stimme hält mich geerdet. Irgendwann zückt er sein Handy und fängt an mir Witze vorzulesen. Ich muss tatsächlich lachen – bei einigen – einen habe ich bis heute nicht verstanden: Was wäre, wenn die Po-Falte horizontal statt vertikal wäre? Hä …?
Und dann fühle ich mit dem Finger in meine Vagina und spüre den Kopf meines Babys. Die Wehen sind heftig. Da! Das Köpfchen ist endlich im Becken. Oh wow, was für ein Gefühl – so voll! …
Die Presswehen sind, im Gegensatz zu den Wehen der vier Stunden davor, geradezu angenehm, nicht mehr so zum Fürchten.
Ich taste an meine Scheide und tatsächlich – wow – da ist das Köpfchen, ca. Ei-groß im Scheideneingang, das Gewebe drum herum voll gedehnt. Vor dem Köpfchen etwas Weiches das ich wegwischen kann, dahinter ist die Fruchtblase zu spüren und erst, wenn ich sie leicht mit dem Finger eindrücke, das Köpfchen. Die Fruchtblase ist noch intakt.
Und die nächste Wehe – heilige Sch… – was für eine Kraft. Ich versuche meinen Damm zu schützen und gleichzeitig die Schamlippen zur Seite zu schieben um das Köpfchen weiter durch kommen zu lassen – da soll das Köpfchen durchpassen?! Das klappt nie! Ich muss meine Hebamme anrufen! Was soll die denn jetzt bitte machen? Da musst du selber durch, sie kann dir nichts abnehmen. Vertraue deinem Körper!
Und die nächste Wehe – immer noch nicht weiter. Mach langsam! Nicht pressen, nicht gegenhalten, lass es geschehen – dein Damm wird es dir danken!
Und die nächste Wehe – ich halte mich an meinem Mann fest, der gerade dabei ist, seelenruhig von 40 rückwärts zu zählen. Hilft es mir? Ja, seine ruhige Stimme ist mein Fels in der stürmischen Brandung – aber er hätte auch das Telefonbuch vorlesen können. Hypnobirthing? Vielleicht im nächsten Leben …
Und dann die nächste Wehe: «Naaaaaain! Naaaaain! Naaaain!» (eigentlich müsste ich ja ein langes «Jaaaa» tönen, aber das was nun wirklich zu viel verlangt … Lass los! Lass es geschehen. Es gibt nur eine Richtung, in die das hier gehen kann und das ist raus!
Gefühlte 10 Minuten nach der Geburt will ich aus dem Pool steigen. Zusammen mit einem Schwall Blut rutscht mir die Plazenta raus. Plazenta in eine Schüssel und ganz aus dem Pool raus. Ein roter Rinnsal läuft aus mir heraus, hört nicht auf. «Das ist zu viel Blut» denke ich. Mein Kreislauf rutscht in den Keller. Ich lege mich schnell aufs Sofa und mein Baby an die Brust. Sie saugt. Die Gebärmutter zieht sich zusammen. Eis auf den Bauch. Nach einer Weile versuche ich Pipi zu machen in einen Eimer vor dem Sofa. Der rote Rinnsal läuft und läuft. Mein Kreislauf sackt wieder ab. Schnell wieder hinlegen. Hebamme angerufen. Sie kommt um neun. Drei Stunden nach der Geburt rutscht mir mein Kreislauf auch im Liegen in den Keller. Ich ahne, mein Wochenbett wird erst mal noch warten müssen … Als die Hebamme eintrifft bestätigt sie meinen Verdacht, obwohl ich alles versuche um sie umzustimmen … Sie ruft den Rettungswagen und meldet uns im Kreißsaal an. Alles in Ruhe, keine Eile. Ich darf mein Baby im Rettungswagen mitnehmen. Im Kreißsaal wird festgestellt, dass noch Reste der Eihaut in meiner Gebärmutter sind*. Sie muss dort schier explodiert sein unter der letzten Presswehe. Die Reste werden raus gedrückt (heilige Sch… aber die Alternative ist OP, also atmen!). Danach hört die Blutung auf. Nach drei Infusionen und einer Nacht darauf warten, dass sich mein Kreislauf so weit stabilisiert, dass ich es bis nach Hause schaffe, verlassen wir am nächsten Morgen fluchtartig die Krankenhausmühle.
*Tipp: Das Zurückbleiben von Eihäuten lässt sich vermeiden, indem man die Plazenta langsam in Empfang nimmt und nicht abrupt herausfallen lässt. Dadurch verhindert man ein Abreißen und in der Gebärmutter Verbleiben von Eihautresten.
Hebi meinte auf meine Nachfrage hin, dass die Fahrt ins KH evtl. nicht nötig gewesen wäre, wenn sie vor Ort gewesen und schneller hätte reagieren können. Würde ich es deswegen anders gemacht haben wollen? Nein! Kein Stück! Das war endlich eine Geburt die ohne irgendwelche Störungen abgelaufen ist. Mein Baby hat seine, ganz eigene, unbeeinflusste Geburt (und Schwangerschaft) bekommen, was für ein Geburtstagsgeschenk!
Selbstbestimmt? Nicht wirklich: die Natur oder mein Baby haben die Geburt bestimmt. Alles was ich tun konnte war, sie geschehen zu lassen. Ich hatte da gar nichts zu sagen. Reine Naturgewalt!
Freie Geburt? Ja. Frei von Störungen und Interventionen. Und nicht nur die Geburt war frei, ich habe auch das Gefühl, dass meine Beziehung zu meinem Baby dadurch freier ist. Bei meiner ersten Geburt (BEL vaginal im KH), wurde ich am Ende entbunden und mein Baby musste für eine Nacht auf die Intensiv. Bonding? Kam dann ein paar Stunden später, aber wie! Dadurch, dass sein Start ins Leben so unschön war, war und ist es mir seitdem ein großes Bedürfnis, ihn die ersten Stunden seines Lebens vergessen zu machen. Ich habe also seit dem 200% gegeben um ihm zu zeigen, dass ich immer immer immer für ihn da bin. Und die Erinnerung an die ersten Stunden gibt mir jedes Mal eine extra Portion Geduld und Mitgefühl für ihn. Ja, irgendwie fühlt sich das unfreier an, obwohl es ihm natürlich sehr zu Gute kommt.
Hatte ich Angst? Während der Vorbereitung auf die Geburt schaute ich mir auch meine Ängste an (auch in einer Sitzung mit meiner Psychologin/ Achtsamkeit). Ich spürte eine Angst bezüglich der Geburt und wollte verstehen, um was genau es sich dabei handelte. Ich konnte dann zu meiner Erleichterung und Beruhigung feststellen, dass die Angst, die ich spürte, die Angst war, die wohl alle Eltern immer haben, nämlich dass meinem Kind etwas passieren könnte. Diese Angst ist immer da, hatte aber nichts mit der Geburt an sich zu tun. Mit dieser Angst müssen alle Eltern leben, dürfen aber sich und ihre Kinder davon nicht abhalten lassen zu leben und das Leben geschehen zu lassen. Also auch an dieser Stelle galt es, mich frei zu machen. Nachdem ich meine Angst gesehen hatte, verlor ich die Angst vor der Angst und war von da an wieder ganz im Vertrauen. Dieses Vertrauen in die Natur, in meinen Körper und in das Leben, spürte ich während der ganzen Geburt und hatte zu keiner Zeit Angst.
Mein großer Dank gilt meinem Mann. Er war am Anfang, wie wohl die meisten Männer, erst mal entsetzt von dem Gedanken einer Alleingeburt, hat aber nach vielen Gesprächen verstanden, warum das genau das richtige für mich und somit für unser Baby sein würde. Und dann, unter der Geburt, hat er sich als mein Fels in der Brandung gezeigt. Er war da, er war die Ruhe in Person, er hat mich geerdet und gehalten. So voll dabei wäre er nie gewesen, wenn eine Fachkraft dabei gewesen wäre. Wir haben ein Wahnsinns-Erlebnis miteinander geteilt und ich fühle mich ihm ganz neu und tiefer verbunden. Und was hat er nach der Geburt für eine Arbeit gehabt die ganze Sauerei wieder weg zu räumen!
Aber lest selbst, wie er alles erlebt hat:
TOM:
In der Rückschau erscheinen mir häufig Dinge einfacher, leichter und selbstverständlicher, als sie eigentlich waren. Die Hausgeburt unserer Tochter Ella, ohne Begleitung einer Hebamme, ist vermutlich auch so ein Fall. Wenn ich Ella heute im Arm halte und sie mich mit ihren großen, dunklen Augen anschaut, dann habe ich den aufreibenden Weg dahin schon fast vergessen.
Nach einer für Anka und mich traumatischen Geburt unseres Sohnes aus Beckenendlage in der Klinik, war eigentlich noch bevor Anka schwanger wurde klar, dass bei einer weiteren Geburt die Bedingungen grundsätzlich anders sein müssen. Das Geburtshaus in Lörrach war bereits seit einiger Zeit geschlossen und so waren wir sehr froh, dass es im Landkreis noch eine Hebamme gab, die bereit war, mit uns eine Hausgeburt durchzuführen. Ich konnte mich gedanklich während der Schwangerschaftsmonate und den Treffen mit der Hebamme langsam an das Thema Hausgeburt annähern. Die Vorstellung, eine Hebamme zur Seite zu haben, die mit ihrer Erfahrung die Geburt optimal unterstützt, war ein wichtiger und bestärkender Gedanke, der mir Zuversicht für eine Hausgeburt gab. Als Anka im November allerdings anfing ihren Wunsch nach einer Alleingeburt zu formulieren, zog es mir fast die Socken aus. In einer Phase in der ich aufgrund des Todes meines Vaters sowieso noch nicht wieder im Gleichgewicht war, haute die Vorstellung einer Alleingeburt mich wirklich ziemlich um.
Ich fühlte mich von Ankas Wunsch nach einer Alleingeburt vollständig überfordert. Ich wollte und konnte mir nicht vorstellen, in die Rolle einer Hebamme zu schlüpfen und einfach mal zu probieren ein Kind mit auf die Welt zu kriegen. Es kam mir vor, wie an einem Auto das Getriebe wechseln zu wollen, nachdem man ein paar YouTube-Videos geschaut hatte, nur mit dem Unterschied, dass es hier doch auch um Leben und Tod gehen könnte. Die Vorstellung löste echte Panik aus. Zudem fühlte ich mich aber gleichzeitig auch in die Ecke gedrängt von Ankas stark vorgetragenem Wunsch. Ich war total unglücklich, weil es scheinbar keinen guten Weg aus der Situation gab – alles sträubte sich in mir, sich auf diesen «Wahnsinn» einzulassen.
Die Situation spitzte sich an einem Freitagabend so zu, dass wir eine der emotionalsten und konfliktreichsten Diskussion unserer Beziehung hatten (was bei zwei Mentalitäts-Westfalen schon etwas heißen will).
Erst als wir nach einiger Zeit zusammen tiefer in ein Gespräch kamen und Anka anfing, von ihrer Motivation und ihrer Vision dieser Alleingeburt zu sprechen, kam etwas in mir in Bewegung. Anka war sehr zentriert und fokussiert in der Beschreibung des Wunsches ihrer Alleingeburt. Es ging hier nicht um die Vermeidung von etwas (z.B. keine Klinik, keine Interventionen, etc.), sondern mir wurde deutlich, dass ihr Wunsch, auf die Hebamme zu verzichten, ein aktiver Schritt war, alle anderen beeinflussenden Instanzen zu entfernen. Erst so könne sie sich wirklich auf ihre Intuition während der Geburt verlassen und die unterschiedlichen Phasen und Schritte zum richtigen Zeitpunkt erspüren. Sie wollte das totale «Ownership» für diese Geburt. Die Anwesenheit von erfahrenen Personen konnte sie hier nur ablenken und dazu verleiten, Teile dieser inneren Verantwortung abzugeben.
Den großen Wunsch nach der Selbstverantwortlichkeit und dem Einlassen auf die persönlichen Ressourcen zu verstehen, war ein sehr entscheidender Moment für mich. Ich konnte hier sehr gut persönliche Parallelen ziehen zu Erfahrungen, die ich selber vor einiger Zeit gesucht habe bei der Teilnahme an Ultraläufen in den Schweizer Bergen. Das Gefühl, vollkommen auf sich alleine gestellt zu sein und nur durch Einteilen der eigenen Kraft und Aufbringen von großer mentaler Stärke zum Ziel zu kommen. Bei diesen Läufen war nicht Ausdauer und Kraft entscheidend, sondern eben der konstante innere Dialog essentiell, um die innere Spannung hoch zu halten und sich auf den hochalpinen Strecken sicher zu bewegen. In solchen existentiellen Situationen tritt die restliche Welt total in den Hintergrund und alle Gedanken und Kräfte fokussieren sich in dem Erleben dieses Augenblicks (inklusive Adrenalinschüben) – es sind dort die ganz ursprünglichen Instinkte gefragt, sich und die umgebende Situation richtig einzuschätzen und gute Entscheidungen zu treffen.
In der Art wie Anka ihren Wunsch formulierte, spürte ich eine große Stärke, eine echte Vision und den großen Wunsch, dieses so wichtige Lebensereignis in höchstem Umfang selber in die Hand zu nehmen. Zusätzlich machte sie mir klar, dass von mir keine Hebammen-Dienste erwartet würden, sondern dass ich lediglich eine Unterstützung für sie sein soll. Etwas zu trinken reichen, den Rücken streicheln und vielleicht das ein oder andere Stichwort geben …
Auch wenn bei mir bis zum Schluss ein Gefühl der Unsicherheit blieb, so wollte ich nun ihrem Wunsch zustimmen. Uns war klar, dass es hier nur eine 100%ige gemeinsame Entscheidung geben konnte. Mutig sein und etwas wagen von dessen Richtigkeit wir überzeugt waren, auch wenn Ängste und Zweifel immer für mich greifbar blieben. Wir gingen zusammen diesen Weg und waren bereit die Konsequenzen zu tragen.
Dabei war für mich allerdings auch wichtig, dass wir nicht unvernünftig wurden – alle Ampeln und Checkpunkte waren sozusagen auf «grün». Die Hebamme hatte uns in den unterschiedlichen Terminen immer wieder zugesichert, dass sie keine Bedenken für eine Hausgeburt hätte und uns eine Alleingeburt auch zutrauen würde. Aus medizinischer Sicht gab es keine Bedenken. Die Schwangerschaft war unauffällig und innerhalb der typischen Phasen verlaufen. Dies waren wichtige Aspekte um mein Vertrauen in unser Vorhaben zu stärken.
In den nächsten zwei Monaten arbeitete Anka ihre Details für die Alleingeburt immer weiter aus und bereitete sich weiter vor. Es war sehr beeindruckend zu erleben, wie intensiv sie im Vorhinein an der Geburt arbeitet indem sie u.a. den Geburtsverlauf visualisierte und dabei die Räumlichkeiten, die Atmosphäre und ihren mentalen Zustand einschloss. Wie ein Leistungssportler oder Musiker ging sie die Abläufe und Phase immer wieder im Geiste durch.
Auch war es ihr möglich, einen inneren Dialog mit unserem Baby zu halten und es in unsere Pläne miteinzubeziehen.
Im Nachhinein betrachtet lief die Geburt dann sehr eng entlang der zuvor erträumten und erspürten Vision ab. Ich war bereits eine Woche vor der Geburt zu Hause und Anka konnte sich zunehmend vom Alltag als Familienmutter zurückziehen und zur Ruhe kommen. Bereits zwei Tage vor der Geburt hatte Anka einen zunehmenden Drang nach Ruhe und spürte eine starke Müdigkeit. Als dann der Schleimpfropf abging und am Abend zunehmend kurze Wehen kamen, waren wir guter Dinge, dass es nun wirklich losgehen würde. Ich legte mich noch einmal für ein paar wenige Stunden zum Schlafen hin. Als ich um 2:30h aufwachte und zu Anka ins Wohnzimmer kam, war sie schon in einer intensiven Wehenphase (3-Minuten Abstand). Nun war es schön, dass wir komplett alleine waren, denn so konnten wir ganz unbeeinflusst zusammen tönen und versuchen zu entspannen. Gegen 3h fing ich an den Pool zu füllen und gegen 3:40h ging Anka ins Wasser. Das verschaffte ihr eine große Erleichterung. Die Wehen nahmen an Intensität zu und Anka tauchte zunehmend in eine nach innen gekehrte Haltung ab. Dies war der Moment wo ich versuchte ihr gut zu zusprechen und die zuvor besprochenen Sätze gebetsmühlenartig immer wiederholte (Das machst du super. Spitze. Wieder ein Stück näher. Atmen. Entspannen, tiefer, tiefer, noch tiefer….). All das funktioniert eigentlich nur so gut, weil keine andere Person anwesend war. Wir mussten uns hier ganz auf uns verlassen, und in einem solchen Moment kommt man ins Handeln – so gut es halt geht. Wie von Anka gewünscht probierte ich es auch mit ein paar Witzen… (das war dann aber wohl doch nicht so hilfreich wie zuvor gedacht).
Ich war überrascht, wie früh Anka sagte, dass sie einen Pressdrang verspürte. Von da an ging es Schritt für Schritt ganz schnell. Erst spürte sie einen ersten Teil vom Köpfchen, dann kamen einige Wehen in sehr intensiven Wellen und ich musste Anka an den Händen halten, an die sie sich wirklich klammerte. Dabei war sie wirklich laut am Rufen! Es war ein Glück, dass ich dies schon einmal bei der ersten Geburt von ihr so gehört hatte und mich davon nicht zu sehr aus der Ruhe bringen ließ. Ich konnte ihr dabei weiter zuversichtlich «gut zusprechen». Dann war plötzlich der Kopf durch und zügig kam der Körper. Anka nahm das kleine Baby zwischen den Beinen hoch, wickelte die Nabelschnur einmal vom Hals. Sobald der kleine Körper über dem Wasser war, konnten wir die kleine Ella laut rufen hören. Das war eine riesen Erleichterung – wir waren beide ganz sprachlos. Gerade waren wir noch mitten im «Kampf» der Wehen gewesen und wenige Augenblicke später hatte das über 10-monatige Warten ein Ende und das laute Rufen verhieß «alles gut gelaufen».
Anka und das Baby blieben noch ein paar Minuten im warmen Pool, bevor ich Anka auf das Sofa half. Beim Aufstehen war die Plazenta abgegangen und während wir unser Baby bestaunten, versuchten wir uns an der Nachversorgung von Anka (Eis auf die Gebärmutter, Traubensaft zum Trinken, trockene Anziehsachen …). Wir hatten eine erste gemeinsam Stunde, bis unser Sohn wach wurde. Ich half ihm beim Anziehen und sagte ihm, dass das Warten ein Ende habe und heute morgen seine kleine Schwester zu uns gekommen sei. Ein riesen Strahlen erfüllte sein Gesicht und er lief augenblicklich ins Wohnzimmer. Hier waren wir also als neue «Großfamilie» endlich zusammen.
Im Rückblick bleibt sehr viel Dankbarkeit und eine ordentliche Portion Staunen über uns zurück. Dankbarkeit für diese tolle Erfahrung, Dankbarkeit für den so positiven Ausgang und Dankbarkeit für einen Geburtsverlauf entlang einer erträumten Vision. Staunen kann ich immer noch nur über Anka, die mit einem enormen inneren Antrieb sich den Weg zu dieser Geburt aus freien Stücken gesucht und «erarbeitet» hat (auch entgegen einiger zögerlicher und z.T. kritischer Stimmen z.B. auch aus ihrer Familie). Sie hat enorme innere Stärke aufgebracht und sich von allen Zweifeln und Ängsten freigemacht. Staunen kann ich auch nur über uns als gemeinsames Geburtsteam, das wirklich etwas Einmaliges geschafft hat. In dieser Nacht wurde nicht nur ein kleines Baby geboren, sondern auch wir beiden sind gesprungen und haben einen bisher nicht gekannten Teil in uns freigesetzt.