Wie der kleine Bruder geboren wurde – Alleingeburt beim zweiten Kind

Ich darf euch wieder an einem wunderschönen Geburtsbericht teilhaben lassen. Es ist nicht mein eigener, sondern der einer Frau, die bereit ist, ihn mit euch zu teilen. Viel Spaß beim Lesen! 🙂

„Ach, vor dem 1. Juli wird das eh nichts, vorher passt es mir nicht.“ Diesen Satz habe ich gefühlte Hundertmal zu allen möglichen Leuten gesagt. Insbesondere, als sich mein Kindchen getraute, über den Termin(!) zu bummeln. Hätte ich mir echt aufs T-Shirt drucken können …
Der Donnerstag passte mir tatsächlich gar nicht ins Konzept. Der Mann hatte von acht Uhr an bis open end Prüfungsbeisitz an der Uni und ich hatte mir meinen Tag mit allerlei Erledigungen vollgepackt. Außerdem hatte ich meinem Körper befohlen, dass mir Anfang Juli zum Gebären besser passt als Ende Juni. Ich hätte es ahnen sollen, schon die Nacht war irgendwie komisch. Der Bauch wurde ständig hart und nervte mich, weil ich weder bequem liegen, geschweige denn schlafen konnte. Zudem grübelte ich mal wieder über unangenehm Aufgeschobenes nach. Da konnte ich doch froh sein, dass mich meine Tochter um fünf in der Früh mit dem Schlachtruf „Mama, mein Bauch tut weh, ich glaub ich muss kotzen.“ aus dem Bett riss. Na prima. Pullern, trinken und eine Banane später, schlief das Kind wieder. Keine Stunde danach kam alles wieder raus und in 30 weiteren Minuten folgte der Rest. Das war es heute also mit Kindergarten. Ob das Nervosität war oder eine Vorahnung – man weiß es nicht! Sie war danach wieder ganz die Alte. Aber das Szenario: Kind-ist-während-des-Tages-daheim, hatte keiner von uns eingeplant. Naja, ist sie eben dabei. Vormittags hummelte ich wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Wohnung umher und bemerkte blutigen Ausfluss. War das jetzt der Schleimpfropf?! Egal, heute gebäre ich ja eh nicht und bei E. kam er auch einige Tage vorher. Trotzdem befand ich mich in einer Art nervöser Unruhe. Ich beschloss, doch mal lieber einkaufen zu gehen, so hatte ich wenigstens alles da. Noch schnell Wäsche ansetzen und los. Da war es gegen 10 Uhr. Ich radelte mit E. zum Konsum, ließ mich von der Tochter zu Pommes bequatschen und ging noch schnell in die Apotheke. Mein Geburtsöl traf gerade rechtzeitig ein, prima! Beim Bezahlen merkte ich einen Druck nach unten und ich drückte – warum auch immer – mit.
PLATSCH! Och nee.
Ich kam mir vor wie in so einem billigen Ami-Kitschfilm, wo die Frauen an den ungelegensten Orten sofort nach Blasensprung ihre Kinder unter lauten Schmerzensschreien (und genug Panik) in drei Wehen zur Welt brachten. Ich tat Wahrheit kund: „Ähm, mir ist gerade die Fruchtblase geplatzt.“ Stille. Danach rannten und riefen alle durcheinander. „BrauchenSieetwas?EineToilette?HabenSieSchmerzen?Sollenwirjemandenrufen?“ Es war kein weiterer Kunde da, aber bestimmt sechs Mitarbeiter. Ich: „Eine Toilette und Vorlagen sind gut und bleiben Sie doch bitte ruhig, mir geht es gut!“ Auf dem Klo bemerkte ich dreckige grüne Brühe. Mist, ist das jetzt ok oder gefährlich? Aber wie soll das Kind Mekonium einatmen, wenn es doch noch gar nicht atmen kann?! Ich beruhigte mich und versuchte mich so gut wie möglich abzuputzen. Der meiste Schladder wurde durch meine schwarze Leggings und meinen Rock aufgefangen. Man sah gar nicht mal so viel von außen, obwohl es im Rinnsal lief. Draußen ging die Panik indes weiter. Ich konnte die Damen und den Herr beruhigen, ja, ich rufe gleich meinen Mann und die Hebamme an, ich habe keine Schmerzen und mir geht es wirklich und echt gut! Selbstverständlich lag mein Handy zuhause. Ich zahlte und eilte unter Glückwunschbekundungen, mit Kind und Fahrradkörbchen im Schlepptau, zum Rad. Also doch heute ein Kind! Jetzt war ich sogar ein bisschen aufgeregt. Es war kurz vor halb zwölf mittags.
„Mama beeile dich, es läuft!“ „Ich kann nicht schneller.“ Schon am Fahrradschuppen fingen leichte Wehen an. Ich wuchtete mich mit dem schweren Korb ins dritte Obergeschoss und hinterließ eine verräterische Tröpfelspur auf der Treppe. Auf dem Klo reinigte ich mich ausgiebig und zog so einen sexy Netzschlüpfer mit Surfbrett an. Es lief und lief und lief. Die Wehen wurden stärker und kamen schneller hintereinander. Der Mann war nicht gleich zu erreichen, rief mich aber zurück. „Es geht los, halt dich bereit!“ Die Amme war auf keinem Kanal zu empfangen, so hinterließ ich SMS und WhatsApp-Nachrichten. Ich wollte sie zumindest informieren, dass die Blase gesprungen war. Brauchen konnte ich sie noch nicht. Die Wehen wurden intensiver und ich konnte mich kaum auf meine Hausarbeit konzentrieren. Die Große malte, spielte und tönte mit.
Ich orderte den Ehemann heim. Kurz nach zwölf Uhr war er dann da und ließ gleich Wasser in den Pool und fotodokumentierte mein Leiden. Die Amme meldete sich auf unsere zahlreichen Anrufe nicht. „Warum zahl ich der eigentlich 450 Euro Rufbereitschaft, wenn die nicht ans Telefon geht?!“ Aber noch brauchte ich sie ja nicht.
Das Warmwasser war schnell alle. Kacke, ich will doch in diesen Pool rein! Also haben wir alle großen Töpfe mit Wasser befüllt und auf dem Herd kochen lassen. Wie im Film! Um meine Würde wenigstens etwas zu wahren, zog ich mir ein Shirt und einen Rock über den Netzschlüppi, hängte mein Tragetuch in die Klimmstange und räumte in der Wohnung umher. Die Hebamme rief endlich zurück und entschuldigte sich vielmals. Wir hatten nicht die Rufbereitschaftsnummer angerufen, sondern Privathandy. Alles gut. Wehen aller 5-7 Minuten. Brauchst noch nicht zu kommen. Ah, diese blöden Wehen kamen aber verdammt schnell und schmerzhaft hintereinander. Das waren doch keine fünf Minuten mehr?! Sie waren intensiv aber sehr kurz. Ich stöhnte und röhrte wie ein Tier. Ich schaffte es aber noch, die Pommes mit den Nuggets in den Ofen zu schieben, denn das große Kind war hungrig.
Beim Saugen des Schlafzimmers gab ich aber auf. Das ging nicht mehr, ohne viele Wehen dazwischen. Ich hechtete immer wieder zum Tuch und hing mich rein. „Hör auf mit dem blöden Geknipse, das nervt mich jetzt.“ Zwischenzeitlich überredete ich den Mann dazu, dass Ding aus der Hand zu legen und das Schlafzimmer zu Ende zu saugen, weil mich die Wollmaus unterm Schrank störte. In der Stube stand alles bereit, der Pool war zu einem Drittel voll und wunderbar temperiert. Gut! Schnell noch das Öl in die Duftlampe, das Kind will bald raus. Ich hinterließ eine Nachricht im Forum und die Amme rief nochmal an. Ach, das ist noch gut auszuhalten, Wehen aller 2-3 Minuten. „Was stinkt und raucht denn hier so?!“ „Hast du das Duftöl mit Wasser vermischt?“ „Nö.“ „Das musst du doch mit Wasser vermischen!!!“ „Weiß ich doch nicht! Mach das aus, das stinkt ja furchtbar!“ Ich stieg in mein neues Luxusbadebecken. Herrlich!!! Aber nur ganz kurz, denn jetzt ging es Schlag auf Schlag. Die Wehen (und ja, ich sage nicht Wellen, weil es einfach scheiße weh tat) kamen ohne Pause hintereinander. Ich konnte nicht in einer Position bleiben und bewegte mich in einem fort, um diesen furchtbaren Schmerz zu umgehen. Ich ließ mich völlig gehen, war animalisch, laut, scham- und hemmungslos. Mann und Tochter standen fasziniert am Beckenrand und beobachteten eine Frau, die sie so noch nicht kannten.
13.25 Uhr. Es drückte. Ich drückte mit und sofort setzten die Presswehen ein. Was?! Jetzt schon? Bin ich denn überhaupt soweit? „Ruf die an, ruf K. an, das Kind kommt jetzt!!!“ Ich wühlte in mir rum und alles war matschig. Ei verbibbsch! Keine Ahnung wie sich ein völlig geöffneter Muttermund anfühlt. A. brachte mir auf mein Verlangen einen Handspiegel. Haare! Dunkle nasse Haare. Ich kann weitermachen! Die Amme war mir eigentlich völlig schnurz, die brauchte ich nicht. Und sie würde es jetzt auch nicht mehr schaffen. Mein Körper stellte auf Automatik und funktionierte einfach von selbst. Ich war laut und mein Mann schloss schnell die Stubenfenster. Was sollen denn sonst die Leute denken?! Ich schob mein jüngstes Kind mit aller Kraft zum Ausgang und nutzte die zwei Sekunden Pause zum Jammern. Das Wasser war in der Zwischenzeit recht unappetitlich geworden. Der Kopf war nun von außen sichtbar und wurde von der Fankurve freudig kommentiert. „Mama, da ist der Kopf, ich seh‘ den Kopf!“ „Die Schädelplatten überlappen sich!!!“ Es brannte, ich merkte wie ich innen reiße und es tat so weh. Mit einer Hand versuchte ich, meine Scheide zu retten, mit der anderen Hand meinen Hintern. Den Kopf drückte ich händisch nach oben und er kam nach einem kraftvollen Schub heraus. Pause. Erleichterung. Die knochigen Schultern wollten hinterher und ich gebar mein Kind in meine Hände. 13.40 Uhr am 26. Juni 2014.
Oh mein Gott, ein Junge, ich habe einen Sohn!!! Ich war ganz und gar überwältigt. Ein Junge. Mein Junge. Mein Ruben. Ich hab geheult und war froh, dass diese Geburt vorbei war. Es war so viel schmerzhafter als bei E. damals. Er schrie, als ich ihn aus dem Wasser hob und wurde langsam rosig. A. hatte etwas Angst, weil er so lila-grau aussah. Ich wusste, dass es ihm gut ging. Spürte seine Mimik und sah seinen ersten Atemzug. Die Schnur hing ihm locker über eine Schulter. Ihn an mich drückend machte ich es mir im Becken bequem und konnte wieder lachen. Jetzt klingelte auch meine liebe Amme. E. war furchtbar aufgedreht! 20 Minuten später zog ich die gelöste Plazenta aus mir raus und wandelte den Pool in ein wunderbares Prinzessinnen-Pink um. Wir bestaunten uns noch eine Weile und der Mutterkuchen schwamm in seinem Tupper-Boot umher. Langsam zogen wir ins Schlafzimmer um. Ich duschte mich fix. Im Bett wurde mein Riss in der Schamlippe bestätigt. Jetzt ist sie also vorbei, meine Schwangerschaft, meine Geburt und an deren Stelle ein ganz wunderbar duftendes brandneues Menschlein und eine ganz neue Familie.
Zusammen banden wir die Nabelschnur mit einem dunkelgrünen Satinbändchen ab, die die große Schwester mit der Schere durchschneiden durfte. Wireless wie er nun war, hat sich der kleine Kerl das Wiegen und Messen anstandslos gefallen lassen, danach gab es auch ausgiebigste Kuscheleinheiten von Papa und Schwester. Mutters Busen fand er aber doch am besten. Erst sehr viel später haben wir ihn angezogen. Zur Krönung des Tages saßen wir alle im Bett und haben ein ganz wunderbares Vanilleeis mit frischen Erdbeeren genossen, dazu eine Tasse Haselnusscappuccino. Lecker! Der Tag hat sich doch gelohnt, so schnell kommt man zu einem zweiten Kind. Und die gewünschten Himalaya-Gesänge, die ich mir so schön als Geburtsmusik ausmalte, wurden – wie so viele andere Kleinigkeiten – auf einmal ganz unwichtig.
„Kleiner Bruder“, sagt E., Ruben „Rübchen“ sagen wir.
13.40 Uhr
3430g
50cm und ein bisschen
36cm Kopfumfang
Perfekt.

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