Krankheiten treffen einen wie ein Blitz aus heiterem Himmel und Geburtskomplikationen, bei denen es um Leben und Tod geht, treten von einer Sekunde auf die andere auf, ohne daß man sie voraussehen kann.
Es gibt viele Märchen, die uns früher oder später im Leben erzählt werden und die wir geneigt sind zu glauben.
Ziemlich früh lernen wir heutzutage zum Glück, daß Kinder gewöhnlich nicht durch Windbestäubung entstehen, vom Klapperstorch abgeworfen oder durch den Heiligen Geist gezeugt werden. Wir wissen, was wir tun müssen, um Kinder zu bekommen, und wenn wir uns genauer informieren, wissen wir auch, was wir tun können, um das zu verhindern.
Ähnlich verhält es sich mit Krankheiten aller Art. Die allerwenigsten überfallen uns, während wir nichts ahnend zum Doktor gehen. Wenn wir uns informieren, erfahren wir, daß wir viel dafür tun können, gesund zu bleiben. Wer zu viel ißt, wird dick und kriegt Diabetes. Wer immer unter Stress steht, bekommt schneller einen Herzinfarkt oder ein Magengeschwür. Wer sich für andere aufopfert und sich selbst dabei vernachlässigt, brennt innerlich aus.
Das ist das Prinzip von Ursache und Wirkung. Daran ist nichts Mythisches, das nur Ärzte verstehen könnten. Und nach dem gleichen Prinzip funktionieren Schwangerschaft und Geburt. Wenn ich in der Schwangerschaft rauche, wenn ich zu viel Süßes esse oder viel Stress habe, dann hat das Auswirkungen auf mich und das Kind. Natürlich trifft nicht jeden jedes. Menschen sind unterschiedlich. Deswegen es ist gut, sich und seinen Körper zu kennen. Zu wissen, wofür man anfällig und sensibel ist.
Es gibt Frauen, die kriegen ihr Kind ohne mit der Wimper zu zucken vor einem Publikum aus Hebamme, Hebammenschülerin, Student, Ärztin und Oberärztin, während die Ärztin ihr auf dem Bauch sitzt und die Hebamme ihr Beleidigungen zuschreit. Doch im Allgemeinen funktioniert es auch hier nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip. Die schlechten Herztöne des Kindes fallen nicht einfach vom Himmel. Die Wehen hören nicht ohne Grund auf. Der Muttermund bleibt nicht ohne Grund verschlossen. Es gibt immer eine Ursache und in diesem Fall ist es meistens Angst. Angst vor der Geburt an sich, Angst vor der fremden Umgebung, davor, fremden Menschen und unbekannten Prozeduren im sensibelsten aller Momente ausgeliefert zu sein. Ob eine Frau sich dessen bewußt ist oder nicht: Tief in ihren Instinkten ist das gleiche Verhalten verankert, daß auch Tiere zeigen, wenn sie gebären: Sich zurück ziehen wollen, Ruhe und Geborgenheit suchen, ungestört sein. Wird ihr das verwehrt, bekommt sie Angst. Wäre die Frau ein Tier, würde sie fliehen und ihr Kind bekommen, wenn sie die Sicherheit und Abgeschiedenheit ihrer Höhle erreicht hat. Aber da sie gelernt hat, zivilisiert zu sein, verdrängt sie ihre Gefühle. Sie ist vernünftig, würde nie auf die Idee kommen, die Sicherheit zu verlassen, die die Anwesenheit der Experten und der Technik verspricht. Ihr Körper aber läßt sich nicht betrügen. Er spürt die Angst, das Adrenalin. Er verspannt genauso wie der Mutternmund, der sich öffnen sollte. Er ist sicher, eine solche Situation ist zu gefährlich, um in ihr ein Kind zu gebären. Aber niemand nimmt das Rebellieren des Körpers wahr. Es wird als sein Versagen gedeutet, daß er das Liebeshormon Oxytocin nicht ausschütten will und man hilft nach mit künstlichen Oxytocin, dem Wehentropf. Zu den Schmerzen einer gegen einen störrischen Muttermund ankämpfenden Gebärmutter kommen die Schmerzen künstlich ausgelöster Wehen. Kein Wunder, daß die Frau spätestens jetzt nicht mehr ohne Rückenmarksbetäubung weitermachen kann. Und so ist sie auf dem besten Weg hin zum klassischen verlängerten Geburtsverlauf mit allen folgenden Komplikationen bis hin zur Notwendigkeit einer schnellen, chirurgischen Geburtsbeendigung. Hat sie das alles aus heiterem Himmel getroffen? Sie mag es annehmen, hat sie doch freudig und ohne Angst der Geburt entgegen gesehen. Sie ist ausführlich darüber informiert worden, was bei einer Geburt passieren kann und was man tut, um dieses Ereignis sicher zu machen, sie hat sich den Kreißsaal angesehen und mit den Ärzten und Hebammen geredet. Aber niemand hat ihr gesagt, daß ihr gesunder Körper einfach so streiken könnte. Niemand hat ihr gesagt, daß Gebären nicht mit dem Verstand zu steuern ist. Was mit ihr geschehen ist, hat viele wissenschaftlich klingende Namen und hinterher wird der Arzt sagen, daß solche Sachen einfach passieren, ohne daß man sie vorhersehen kann. Aber dank heutiger Geburtsmedizin ist alles noch einmal gut gegangen. Glaubt auch der Arzt, die Komplikationen sind vom Himmel gefallen? Er hat doch studiert und müsste es wissen. In seinen Lehrbuechern steht viel ueber Komplikationen und was er machen muss, um der Frau und dem Kind aus der Patsche zu helfen. Aber es findet sich fast nichts dazu, was die Ursachen fuer solche Komplikationen sind. Dass seine Anwesenheit und Einstellung zur Geburt Geburtskomplikationen bei der Frau hervorrufen kann, dass eine Geburt auch ganz ohne sein Zutun mit ziemlicher Sicherheit einen guten Ausgang nehmen wuerde, all das hat er wahrscheinlich noch nie gehört.
„So etwas passiert halt.“ sagt er. Und die Frau denkt: „Ein Glueck, dass ich im Krankenhaus war, wo die Ärzte mich und das Kind gerettet haben!“ Sie wird ueberzeugt, dass trotz aller Vorsorge Geburt eine Art Lotterie ist, auf die sie keinen Einfluss hat.
Ich wuenschte, keine Frau wuerde sich mit so einer Antwort zufrieden geben.