Alleingeburt trotz Präeklampsie, mehrfache Nabelschnurumschlingung

Liebe Leser!

Nicht nur bei einer unauffälligen Schwangerschaft ist es möglich, die Verantwortung für sich und das Kind zu übernehmen und seinen eigenen Weg zu gehen. Es ist auch möglich, wenn es Probleme gibt – auch wenn das meist bedeutet, sich mehr informieren und mit mehr Leuten diskutieren zu müssen. Ich darf hier eine spannende Geburtsgeschichte mit euch teilen. Die Mama, deren Geschichte ihr lest, erwartet ihr viertes Kind. Zum Ende der Schwangerschaft hin bekommt sie hohen Blutdruck, Wassereinlagerungen und es geht ihr nicht gut. Wie sie doch noch zu ihrer erträumten Alleingeburt kommt, lest ihr weiter unten.

Noch ein paar kleine Begriffserklärungen vorweg:

SSW steht für Schwangerschaftswoche. Eine Schwangerschaft dauert im Schnitt 40 Wochen. Bei 40+0 liegt der von Frauenarzt, Hebamme oder einem selbst errechnete Entbindungstermin. 36+5 bedeutet zum Beispiel, dass die Schwangerschaft schon 36 Wochen und 5 Tage dauert.

Präeklampsie: Hauptsymptome sind Bluthochdruck und Eiweiß im Urin.  Damit einher gehen in der Regel starke Wassereinlagerungen (Ödeme). Auch Schwindel, Kopfschmerzen, Augenflimmern, Übelkeit und Erbrechen können auftreten. Man befürchtet von ärztlicher Seite den Übergang in die seltene Eklampsie, die mit Krampfanfällen einhergeht.  

Hellp: Das HELLP-Syndrom ist eine schwerwiegendere Form der Präeklampsie. Zu den Symptomen der Präeklampsie (Bluthochdruck und Eiweiß im Urin) kommen eine Leberfunktionsstörung (erhöhte Leberwerte, Schmerzen im rechten Oberbauch), verminderte Zahl der Blutplättchen und eine Blutarmut durch Hämolyse. Weitere mögliche Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen und Sehstörungen.

Gestose ist der Oberbegriff für schwangerschaftsbedingte Erkrankungen zu denen die Präeklampsie gehört.

Eiweiß++ bedeutet, dass der Urinstick deutlich positiv für Eiweiß angezeigt hat. Eiweiß befindet sich normalerweise nicht im Urin und ist eines der Präeklampsie-Symptome.

Ein normaler Blutdruck liegt bei 120/80. Als Info, damit ihr bei den im Text angegeben Werten einen Vergleich habt.

Herzlichen Dank an dieser Stelle der Mama, die diesen Bericht für euch zur Verfügung gestellt hat. 

Und jetzt los:

06.08.15 (SSW 36+0)
Senkwehen … Hab ich zwar schon länger, aber solche wie heute noch nicht. Unregelmäßig, gern nach Belastung, es drückt der Kopf nach unten. Schmerzlos, aber so unangenehm, dass ich mich dabei nur im Zeitlupentempo bewegen mag.

09.08.15 (SSW 36+3)
Gestern war mein Schwager zum Grillen da. Den gesamten Nachmittag bis 23 Uhr. War sehr schön, aber meine Beine sahen aus. Die Ödeme haben sich inzwischen auf die Oberschenkel ausgedehnt. Abends beginnt die Haut an den Knöcheln zu brennen. Blutdruck ist gut, Eiweiß nicht zu finden. Aber ich hab ein Auge auf mich. Ich nörgel zunehmend rum. Es ist einfach anstrengend inzwischen, ich bin nicht mehr belastbar. Mag nicht mehr.

11.08. 15 (SSW 36+5)
Es hat sich nach einer Gewitternacht abgekühlt. Unser Großer ist seit gestern für zwei Nächte bei meinen Eltern, die Mittlere war gestern Nachmittag bei einer Freundin und wird von Freitag auf Samstag dort übernachten. Eigentlich hätte ich die Kinder so gern um mich. Ich fühle mich schlecht, dass ich nervlich so fertig bin momentan, dass es ganz gut ist, sie zu Oma zu bringen. Andererseits freue ich mich über jede Minute mehr, in der ich die Füße hochlegen kann. Ab wann muss man sich eigentlich Sorgen hinsichtlich einer Gestose machen?
Ödeme hab ich, die sind nicht sprunghaft mehr geworden. Hatte ich in allen Schwangerschaften, diesmal witterungsbedingt etwas ausgeprägter. Betroffen sind Beine, Füße, Hände. Im Gesicht oder an den Armen merke ich keine Veränderungen.
Vor dieser Schwangerschaft war ich beim Kardiologen, weil mein Hausarzt ein Herzgeräusch hörte. Dort hatte ich bei 3 von 5 Messungen einen leicht erhöhten Blutdruck. Das sei so aber noch nicht behandlungsbedürftig. Inzwischen ist der Blutdruck bei so ziemlich jeder Fremdmessung zu hoch. Selbst gemessene Werte befanden sich in dieser Schwangerschaft immer bei 130/80 oder 120/80. Seit zwei Tagen messe ich jetzt erhöhte Werte von 150/105. Ich hab keine Kopfschmerzen, keine Sehstörungen, keine Oberbauchschmerzen. Eiweiß im Urin war vorhin ganz wenig, hab aber heute auch ein bisschen wenig getrunken.
Abgesehen davon, dass alles inzwischen beschwerlich ist, fühle ich mich gut. Hebamme fährt am Freitag in den Urlaub und ich möchte jetzt ungern schlafende Hunde wecken. Das jetzt ärztlich abzuklären macht mir Angst – fürchte das komplette Paket an Panikmache. Ich tendiere dazu die Füße hoch zu legen, zu entspannen, alle Messerei sein zu lassen, möchte aber zeitgleich auch kein massives Risiko eingehen.

12.08.15 (SSW 36+6)
Heute gehts etwas besser. Der Blutdruck hat sich bei 150/105 eingependelt ohne, dass ich das Gefühl hätte, dadurch eingeschränkt bzw. belastet zu sein. Ich trinke viel, sehr viel und bin überrascht, dass mir das relativ leicht fällt. Die beiden Mädels sind seit gestern Mittag auch bei Oma, C. bringt sie nachher nach der Arbeit wieder mit nach Hause. Der Große will noch bei Oma bleiben. Evtl. bis Freitag. Ich merke, dass ich, nachdem ich gestern Abend noch heulend meinem Mann in den Armen lag, nervlich etwas runterfahren konnte. Die Nacht war ich sehr unruhig, ständig wach und hab dann um 2 Uhr Infomaterial bei den Gestosefrauen bestellt. Ich spüre, dass ich das sehr neutral lesen werde, gefühlt bin ich selbst nicht betroffen.
In Anbetracht aller Umstände habe ich die letzten Tage auch sehr eine baldige Geburt herbeigesehnt und merkte auch, dass es frustrierend ist, stupide auf etwas zu warten, was ich nicht beschleunigen kann, werde und will und mich damit noch zusätzlich zu stressen. Der stetige Blick auf den Kalender bringt nichts. Ich habe mir vorgenommen, in aller Ruhe noch das ein oder andere zu erledigen und den Fokus etwas zu verändern.

Nachmittags
Eiweiß ++. Rücksprache mit der Hebamme. Es liegt in meiner Hand. Letztlich muss sie mir zur ärztlichen Kontrolle (Hellp Labor) raten. Dass unabhängig vom Ergebnis allein aufgrund der anderen Symptomatik und der Schwangerschaftswoche zur direkten Einleitung gedrängt würde, darüber sind wir uns einig. Aber es besteht auch durchaus noch die Chance, dass all das jetzt einfach zu einem baldigen Geburtsbeginn führt. Wir sollen uns einen schönen Abend machen, dem Baby gut zureden, dass es durchaus sinnig wäre, schon raus zu kommen.
Ich mach mir keine großen Hoffnungen. Morgen ist erst 37+0 …

13.08. 15 (SSW 37+0)
Ich weiß, wie gefährlich das ist und wie schnell sich das Ganze auch verschlechtern kann.
Ich kann mich nicht überwinden. Ich hab solche Angst, das im Krankenhaus überprüfen zu lassen. Selbst wenn es jetzt „nur“ bei ner Gestose bleibt, egal mit welcher offiziellen Diagnose, ist die Hausgeburt gestorben. Ich will keine Einleitung, ich will keine Sectio. Wenn es mir wenigstens schlecht ginge. Aber ich fühle mich gut. Mir tut nichts weh. Ich sehe hohe Werte auf dem Blutdruckmessgerät und ich sehe Eiweißnachweis auf dem Urinstix, aber ich fühle nicht, dass ich ernsthaft erkrankt sein könnte.
Es ist zum Heulen.
Gestern Abend hatte ich über mehrere Stunden Senkwehen bzw. welche, die ich nur im unteren Gebärmutterdrittel ähnlich Mensschmerzen fühlte. Muttermund ist für mich unerreichbar (Bauch zu dick, Finger zu kurz). Männe meinte da sei alles weich, er könne bequem einen Finger einlegen.
Ich hoffe, dass das Baby und mein Körper das Richtige tun. Das Baby ist generell von ruhigem Naturell. Die Vorderwandplazenta fängt auch viel Kindsbewegung ab. Herzfrequenz bei 140bpm im Mittel und eben normal aktiv für die Woche. Ich habe nicht das Gefühl, dass es dem Kind schlecht geht. Ich rechne zwischen dem 20. und 30. mit der Geburt.
Vorhin kam die Lektüre von den Gestosefrauen an. Jetzt ist mir vieles klarer. Ich werde mich an den Ernährungsempfehlungen entlanghangeln und mal sehen, wie sich das hier so fügt.

Kaum, dass mein Mann vorhin zur Tür reinkam, ging das Rumgewehe wieder los. Jetzt grad 5 Minuten Abstände, sehr kurz, nicht schmerzhaft.

14.08.15 (SSW 37+1)
Die Wehen waren dann gegen 23 Uhr wieder weg. Seither Ruhe.

Abends
Ich bin gefrustet, weil ich die schlimmste Mama auf der ganzen Welt bin. Unser Großer hat so frühstpubertäre Anwandlungen und kam vorhin heulend von Oma zurück. Er vermisst Oma. Bei Oma ist alles besser. Bei uns ist es so doof. Bei Oma durfte er dieses und dieses und jenes …
„Ich freue mich, dass du wieder da bist, M., ich hab dich vermisst die letzten 4 Tage.“ Er: „Ich hab nicht einmal an euch gedacht.“ Ich heule erstmal ordentlich.

Sa 15.08.15 (SSW 37+2)
Es ist wieder Ruhe im Bauch. Ich achte auf jedes winzige „Symptom“, es neeeervt und ich merke, dass ich das Vertrauen in meinen Körper verliere. Einerseits denke ich mir, dass ich vielleicht doch den spärlich bepackten Klinikrucksack nochmal optimieren müsste. Die Anmeldeunterlagen für die Klinik ausgefüllt mitnehmen müsste, damit wenigstens die groben Daten bekannt sind. Mache ich doch noch einen Plan, um eine notwendige Sectio so gut als möglich zu gestalten oder ist das letztlich eh egal?
Am liebsten möchte ich das alles verdrängen, um eine Chance zu haben wieder Vertrauen zu finden. Aber ich hab doch drei bzw. vier Kinder und einen Mann. Ich kann doch nicht leichtfertig meine Gesundheit aufs Spiel setzen!
Ich habe mir Internetverbot auferlegt. Kein gockeln mehr, ich werde noch irre sonst.

So 16.05.15 (SSW 37+3)
Schon den ganzen Tag gehts mir nicht gut, es ist Kreislaufwetter. Unsere Freundin K. bringt unsere Mittlere vom Übernachtungsbesuch nach Hause. Ich bin sehr müde und wenig gesprächig. Gegen 22 Uhr beim Zu-Bett-Gehen habe ich eine wirklich heftige Schwindelattacke. Mir geht es elend. C. sieht besorgt aus. Während der Schwindel verschwindet, steigt in mir Panik auf. Ich muss das abklären lassen. C. fragt mich, ob er noch ganz schnell duschen kann. Er soll sich beeilen. Anschliessend ruft er einen RTW, ich mag so nicht mit dem eigenen Auto los. Telefonierend steht er im Schlafzimmer und der Typ von der Rettungsleitstelle verwickelt ihn in ein Gespräch. Ich liege im Bett und will, dass er auflegt und mir hoch hilft und noch Sachen packt. Mir ist klar, dass der RTW längst unterwegs ist, während C. noch telefoniert. Er legt auf. „Die sind gleich da.“ Auf meine Anweisung packt er eilig ein paar Sachen, und hilft mir was anzuziehen. Ich schmeiss noch das in die Tasche, was mir noch so in die Hände kommt. Er ruft meine Mutter an. Die Kinder schlafen fest. Wenig später stehen wir im Flur, der RTW ist da, mit Blaulicht. Zwei Rettungsassis um die 50. Ich gehe alleine raus, einer der beiden geht langsam vor mir und lässt mich nicht aus den Augen. Ich fühle mich komisch. Es ist dunkel und hat angefangen zu regnen, was bis Mittwoch nicht aufhören wird. Als wir einsteigen wollen, kommt grad pünktlich meine Mutter. Sie nimmt mich in den Arm und mir schießen die Tränen in die Augen.
Im RTW wollen mich die beiden Herren flach auf dem Rücken auf die Liege verfrachten. Es dauert ne Weile, bis alles richtig hingefummelt ist und ich sitze. Der Typ war schon einmal losgefahren und sollte dann nochmal halten. Die Fahrt ist holprig, dunkel, es regnet und ich fahre rückwärts, dabei bin ich doch eh schon so ein schlechter Beifahrer. Die Liege ist beweglich gelagert. Um mir ein relatives Sicherheitsgefühl zu vermitteln, hält der Rettungsassisten rechts von mir die Liege etwas fest. C. auf der anderen Seite ebenso – kräftigst – am Tag darauf tut ihm der Arm weh.
Wir sind zum Glück zügig da. Sie schieben mich in den Kreißsaal. Da steige ich von der Liege ab und verabschiede mich dankend für die „angenehme“ Fahrt von den beiden Herren. Man wünscht uns alles Gute. Im Kreißsaal eine sympathische jüngere Hebamme A., die mit dem nicht vorhandenen Mutterpass umgehen kann. Ich gehe in den blauen Kreißsaal und werde ans CTG gestöpselt. Es zeigt keine Auffälligkeiten. Sie lässt mich einen umfassenden Anamnesebogen ausfüllen und fragt mich, was sie wissen muss. Zwischendurch schläft das Kind ein. Sie kommt, um am Bauch zu ruckeln und prophezeit uns einen Jungen. Die seien immer was zickig beim CTG. Aha, denke ich mir… Männe macht Beweisfotos von mir in diesem Kreißsaal. Wir fühlen uns seltsam deplatziert. Urinstix: Eiweiß ++. Ich frage, was denn mit einem Hellp-Labor sei. Ja, die Ärztin würde gleich zur Blutabnahme kommen.
Ärztin 1 kommt mit dem Blutabnahmekram und der Spießrutenlauf beginnt. So ’ne junge, arrogante Schnepfe. „Das ist jetzt natürliche schwierig ohne Mutterpass. Ich weiß ja nichtmal die Blutgruppe.“ „0 positiv .“ „Ganz sicher?“ „Ja, selbstverständlich.“ „Naja, aber einen Nachweis haben Sie ja nicht.“
Versuchte, mir rechts einen Zugang zu legen. Daneben. Autsch. Neuer Versuch linker Handrücken. Sie ist schon voll genervt, bekommt es zum Glück hin. Den schmerzenden, versauten Zugang rechts zieht sie erst in aller Ruhe, als der andere sitzt. Als die Hebamme den Raum betritt, bemerkt sie kurz, dass diese sich nicht wundern solle über das „Chaos“. Dabei blickt sie auf mehrere blutverschmierte Röhrchen und Tupfer, die unkoordiniert neben mir aufs Kreißbett geschmissen wurden.

Wir sollen zum Ultraschall. „Pass auf“, sage ich noch zu Männe. „Jetzt kommt das Märchen vom zu großen Kind.“ An der Art mich zu befragen merke ich deutlich, dass die Schnepfe mich total scheiße findet. Ultraschall unauffällig, ich sehe ja, was sie so misst und passe auf wie ein Schießhund, dass die Kreuze gefälligst auch da landen, wo sie sollen. C. bittet sie, uns nicht das Geschlecht zu sagen, so sie es sehen sollte. „Nee, also das interessiert mich ja so gar nicht, da gucke ich eh nicht nach.“ „Na ja, es soll ja nun auch genetische Auffäligkeiten geben, wo das Geschlecht dann doch von Relevanz ist.“ (Ich kanns mir nicht verkneifen.) Innerlich verleiert sie die Augen. Sie lässt uns deutlich spüren, dass sie uns lästig findet, mitten in der Nacht in ihrem Dienst. Sie verliert sonst kein Wort. C. fragt im Rausgehen, ob denn nun alles okay ist mit dem Kind. „Ja, ja.“ Später lese ich im Arztbrief, dass sie sich um gute 400g vermessen hat und meine Vorderwandplazenta an der Hinterwand gesehen haben will. Ich soll auf Station. Alles Weitere würde dann morgen der Chefarzt entscheiden. Also, ob ich zur Beobachtung bleibe. „38. Woche, das muss dann der Chefarzt entscheiden, ob man nicht zeitnah entbindet.“ So, so denke ich mir. Das entscheidet wohl der Chefarzt. Wenn hier einer entscheidet, dann bin ich das!
Ich werde stationär aufgenommen, komme in ein noch leeres Familienzimmer, alleine. 24 Stunden Sammelurin. Auf dem Pott steht 23:45 -23:45. Ich pinkel das erste Mal rein. Kurz drauf wackelt wohl die Schnepfe auf Station, bespricht sich mit der sehr netten Nachtschwester. Neee, doch nicht. Sammelurin von 6-6 Uhr. Die Schwester besorgt eine passende Blutdruckmanschette, bin ja nicht so ne Elfe. RR 167/116. Senken wollen sie nicht, das müsse morgen der Chefarzt entscheiden. Ohne den darf offenbar garnichts entschieden werden. Ich frage mich, was passiert, wenn manche Entscheidungen sofort getroffen werden müssten. Hellp-Labor dauert zwei Stunden. Bis die Ergebnisse hier auf Station weitergegeben sind unter Umständen noch länger, erzählt uns die Nachtschwester im Vertrauen. Somit fährt C. nach Hause bzw. ist unsere Freundin K. so lieb und holt ihn noch mitten in der Nacht ab. „Wofür sind Freunde da?“
Die sollen mir was zum Blutdrucksenken verschreiben und ein Hellp ausschließen. Dann flüchte ich so schnell ich kann.
Um 1:34 schreibe ich C., dass wohl nochmal ein Arzt antanzen soll, weil der Blutdruck noch immer so hoch ist. Er macht den Fehler und gockelt nach Hellp und kann dann nicht mehr schlafen.
Gegen 2:30, denke ich, kommt Schwester 2 ins Zimmer. Blutdruck noch immer zu hoch, ich super angespannt. Sie teilt mir mit, dass die Laborbefunde da sind. Alles unauffällig. Erste Anspannung fällt ab. Sie geht, um der Diensthabenden den aktuellen Blutdruck mitzuteilen. Ich rufe C. an. Keine 3 Minuten später ist sie wieder da, ich telefoniere gerade. Ich sage C., dass ich mich später nochmal melde. Ich möge mich im Kreißsaal melden, Ärztin möchte mich sehen. Ich kriege Schiss, ziehe mir was über, gehe rüber. Mir ist speiübel, ich bin zittrig, es fühlt sich an wie der Gang zum Schafott. Es ist einer der schlimmsten Augenblick in meinem Leben, ich hab einfach nur Angst, nackte Angst. Ich soll in den gelben Kreißsaal. Eine junge, rotblondgelockte Hebamme W. will mich ans CTG stöpseln und sieht im Kreißsaal-Dämmer-Wohlfühl-Licht wohl meinen fragenden Gesichtsausdruck. „Sie sind aufgeklärt worden, dass wir ggf. einleiten?“
Panik… „Nein, man hat mir grad gesagt, dass das Hellp-Labor unauffällig war – mehr nicht.“ Ich fühle mich wie ein Duracell-Hase. Mir fällt es schwer mich zu unterhalten, dem Ganzen zu folgen. „Ich brauche einen Anfangsbefund“, sagt sie entschuldigend . “ Zittrig will ich auf dem Kreißbett liegend meine Hose runterziehen. „Ein Hosenbein reicht.“, sagt sie mit verständnisvollem, fast traurigem Gesichtsausdruck. Sie untersucht mich. Fingerkuppe einlegbar. Ich ziehe mich wieder an. Sie verschwindet.

Die Tür geht auf, Ärztin 2 kommt quasi reingehechtet mit direkt aggressivem Gesichtsausdruck. Sie steht bestimmt zwei Meter von mir weg, zwischen Tür und Ablage. Jung, so wie die erste Schnepfe auch, total griffig und unsympathisch.“M. ist mein Name. Ich bin die diensthabende Gynäkologin“, sagt sie mit osteuropäischem Akzent. „Ja, B.“, stelle ich mich kurz vor. Sie überfährt mich direkt, spricht laut und schnell. Ich kann ihr kaum folgen mit meinem Blutdruck und der Panik. Der Blutdruck müsse runter, 38. SSW, man würde wohl zeitnah einleiten. Ich sage, dass ich das gern umgehen möchte. Sie wird fuchtig. „Und dann wollen Sie stattdessen einen sofortigen Kaiserschnitt oder was?“ „Nein, eine reelle Chance auf eine interventionsarme Geburt.“ Ich bin froh, dass ich halbwegs abschätzen konnte, was mich erwartet und mir meine Argumente ein wenig vorab zurecht gelegt habe. Es folgt die Leier von toter Mutter und Kind. „Sie könnten einen Krampfanfall haben und infolge dessen versterben.“ Das lässt mich kalt. Sie ist wohl verblüfft, dass ich nicht reagiere wie von ihr erwartet.
Ich frage sie, ob es dann jetzt nicht Sinn macht den Blutdruck medikamentös zu senken. Sie wird etwas milder. Ja, das würde man jetzt mit einem schnellwirkenden Präparat tun wollen. Morgen würde man dann ein anderes Medikament geben. So schnell wie sie da war, entschwindet sie wieder.
Ich bekomme von Hebamme W. eine Pille Adalat. Dass Adalat eigentlich ein Wehenhemmer ist, darüber werde ich nicht aufgeklärt. Ich weiss es aber selbst und spreche das hinsichtlich der drohenden Einleitung an. Nö, das sei nicht so schlimm, man würde mir da ja jetzt nur einmalig eine Pille geben. Innerhalb 15 Minuten wirkt das Zeug. Blutdruck runter, Puls rauf. Ich fühle mich deutlich besser. Bekomme noch Flüssigkeit i.v. und 30 Min. CTG. Gegen 3:30 darf ich zurück auf Station. RR 150/80. Ich schlafe unruhig.

Mo 17.08.15 (SSW 37+4)
Morgens früh
Schwester 3 kommt mit Blutdruckmessgerät. 160/100. Ich bekomme mein L-Thyroxin und zwei Pillen Alphamethyldopa (Dopegyt) zum Senken. Beim Frühstück bekomme ich kaum was runter. C. will so um 10 da sein. Eigentlich müsste er arbeiten, kann das aber organisieren. Meine Mama hat die Nacht auf unserem Sofa verbracht und unterstützt ihn tatkräftig. Die Kinder gehen heute mit zu Oma. Während wir telefonieren, quatscht die Lütte im Hintergrund, mir laufen die Tränen. Ich komm nicht runter, bin furchtbar angespannt.
Werde zum CTG bestellt, roter Kreißsaal, eine ältere Hebamme, die sich bei mir über andere Frauen beschwert. „Ständig lassen die die Türen auf, kommen ohne CTG-Gurt, dann sage ich schon vorher, sie mögen sich hinlegen und wenn ich reinkomme, dann stehen die hier noch rum. Ständig diese offenen Türen – aber wenn sie dann hier liegen und pressen, dann soll die Türe zu sein.“ Himmel, denke ich, was ist denn mit ihr los? Es regnet immernoch, das Fenster ist weit geöffnet, unten Baulärm, mir ist kalt. CTG ist gut. Ich darf gehen. Bei jedem CTG tobt mein eigentlich so ruhiges Kind wie blöd.
Dann Blutdruck (160/100) kurz vor der Visite. Die nächsten zwei sehr jungen Ärztinnen erscheinen in Begleitung der älteren Stationshebamme M.. Wieder kommt der fehlende Mutterpass zur Sprache. Ich fühle mich genötigt klar zu machen, dass kein Mutterpass nicht gleich keine Vorsorge bedeutet. Ich betone, hier nicht die renitente Patientin sein zu wollen und beschwere mich über die Art und Weise der Kollegin heute Nacht. Komme da nachts in den Kreißsaal und muss mich anpampen lassen, sehr förderlich, wenn ein Blutdruck sinken soll. Ich möchte hier nicht als verantwortungslos gelten. Mir gehts nicht gut, ich habe ein Problem und ich möchte fair und gut versorgt werden. Nebenher laufen mir die Tränen. Die Ärztin ist handzahm und verständig, verspricht das nochmal zu thematisieren und streicht mir über den Arm. Hebamme M. redet mir gut zu. „Fr. B., haben Sie keine Bedenken. Sie haben doch schon spontan entbunden. Das wird gut klappen, Sie bekommen doch schon das dritte Kind.“ Ich korrigiere sie. „Das Vierte“, und heule wie ein kleines Kind. Sie geht und holt mir irgendwas Homöopathisches zum Beruhigen. In der Akte steht später: Patientin sah sich wegen des fehlenden Mutterpasses unter Rechtfertigungszwang, im Verlauf des Gesprächs emotional aufgelöst.
Kurze Zeit später soll ich zum Ultraschall. Ich bin grad angekommen, da erscheint C.. Wir warten über eine Stunde. Zwischendurch fällt auf, dass ich noch gar nicht offiziell aufgenommen bin. Ich sitze traurig da und kämpfe immer wieder mit den Tränen. Eine ältere, eher burschikose Schwester, die da in der Ultraschallambulanz tätig ist, versucht, mich ein wenig aufzufangen. Sie ist der Typ Mensch, der einfach so tut, als würde man sich schon 100 Jahre kennen. Komischer Weise passt sie mir ganz gut in den Kram. Der Chefarzt schallt wohl heute Morgen. Wie am Fließband marschieren Paare zu ihm ins Zimmer, man bekommt einiges mit. Weinende Frauen und besorgte Väter. Zu kleine Kinder, zu unreife Kinder, drohende Frühgeburten. Was soll ich denn hier? Ich muss zum Oberarzt Dr. A. rein. Und warte. Schicke C. schon mal los, um diese Anmeldung zu veranlassen, die ja noch nicht offiziell ist. Dr. A. erscheint. Ein halbwegs sympathischer Mann. C. kommt einige Zeit später dazu. Bis dahin hatte er mich längst gefragt, wie denn mein Mann zu der Sache steht und zu hören bekommen, dass dieser den Weg, den ich wähle, mitgeht. Er wird also bemerkt haben, dass er es sich sparen kann, meinem Mann Schauermärchen zu erzählen. Schall ist unauffällig. Es folgt ein langes Gespräch. Allein die Richtlinien erlauben nicht, dass ich nochmal nach Hause gehe, zumal der Blutdruck auch noch immer nicht gut ist. Er spricht von Präeklampsie. 4. Kind, 3×spontan, Kind fit. Sie rechnen sich gute Chancen für ne ordentliche Spontangeburt nach Einleitung aus. Der Doc äußert, dass man es langsam angehen würde. Jetzt seien die Chancen gut. Ehrlicherweise könnten sie das in zwei Wochen auch sein oder aber eben auch richtig schlecht. „Und bei Ihrer Vorgeschichte – Fr. B., wer hat denn heute noch drei tolle Spontangeburten? – wäre eine dann notwendige, eilige Sectio natürlich richtig bescheiden.“ Am Blutdruck jetzt noch länger Symptomkosmetik mittels Senken zu betreiben, gehe eben auch manches Mal nach Hinten los. Ich weiß was der Mann meint. Ich muss den Tatsachen ins Gesicht blicken. Ich habe eine Gestose und es geht mir auch nicht gut. Um in dieser Situation anzukommen, mich auf Intervention einlassen zu können, erbitte ich mir Bedenkzeit. Die Nacht war anstrengend, so fühle ich mich einer Einleitung und ggf. Geburt grad nicht gewachsen. Das Argument zieht, er gibt mir Zeit bis morgen. Ich werde mich schwersten Herzens gegen Pest und für Cholera entscheiden müssen. Eine Alleingeburt (Hebamme hat Urlaub, ist in Dänemark) unter diesen Umständen in meiner Verfassung wäre verantwortungslos.
Ich versuche hier heute noch Kraft zu finden, zu schlafen. Morgen früh wird es ein erneutes Arztgespräch geben.
Zurück auf Station soll ich in ein anderes Zimmer. Packe meinen Krempel und werde mit Bett auf die andere Flurseite in ein 4-Bett-Zimmer geschoben. Ans Fenster. Der Raum ist gut unterteilt, es sind quasi zwei 2-Bett-Zimmer, die mittels Sichtschutz in einem Flur voneinander getrennt sind. Man hört trotzdem den Besuch derjenigen hinterm Vorhang. „Da haben Sie ja Glück gehabt mit dem Bett. Das ist immer ganz nett, wenn man die Bettgitter hochmachen kann, wenn sie dann das Baby haben“, sagt die Schwester. Ich fühle mich erstmal gar nicht angesprochen. „Ich will hier noch gar kein Baby haben.“ Neben mich kommt eine Frau in der 31. SSW. Ihr geht’s richtig schlecht. Gestationsdiabetes mit heftigen Entgleisungen, Präeklampsie, Kind ist schlecht versorgt. Sie hat Kopfschmerzen, ununterbrochen. Was mache ich hier, frage ich mich wieder. C. fährt erstmal nach Hause.

15 Uhr
Immernoch 150/100, trotz weiterer Blutdrucktablette. Ich konnte eben schlafen. C. ist bei den Kindern. Er kommt sofort, wenn ich das will. Ich möchte vorschlafen für was auch immer noch kommt.

18 Uhr
Fluchtgedanken … Ich haue einfach ab. Aber was, wenn der Blutdruck wieder Eskapaden macht?
Ich haue ab und nehme statt dem Alphamethyldopa von hier, eigenmächtig Bisoprolol von meinem Mann. Sehe zu, dass ich das bei ersten Geburtsbestrebungen absetze, um keine Atemproblematik zu riskieren. Aber wenn da was aus dem Ruder läuft?
Ich stimme der Einleitung morgen zu und wenn ich das Glück habe schon während eines Spaziergangs schöne Wehen zu haben, drehe ich den Spieß um, türme mit meinem Mann und fahre nach Hause zur Geburt. C. könnte ja schonmal den Pool aufpusten.
Abends gegen 18:30 kommt C. vorbei. Wir gehen ein bisschen spazieren. Es regnet noch immer ununterbrochen. Wir stehen an der Tür zum Klinikinnenhof, wo es nach abgestandenem Zigarettenrauch riecht und sind beide tottraurig. Es hätte so schön werden sollen. Eine tolle Alleingeburt, so wie die unserer Dritten. Wir hatten uns so sehr darauf gefreut. Wir wollen noch nicht aufgeben. Beim Gedanken daran, morgen am CTG hängend in einem dieser hässlichen Kreißsäle mein Kindchen bekommen zu müssen, könnte ich heulen. Ich versuche den Gedanken auszublenden, dabei sollte ich mich vielleicht eher langsam damit anfreunden. Wir wollen noch nicht aufgeben, alles tun, dass es doch noch von allein losgeht. Wir verschwinden gemeinsam in einer der Kliniktoiletten. Immerhin ist es da sauber. Schön ist anders, aber was tut man nicht alles …
Zurück im Zimmer will ich schnell schlafen, Kraft sammeln. C. fährt. „Hau bloß schnell ab, eh ich wieder heule.“

Di 18.08.15 (SSW 37+5)
6 Uhr
Die Nacht war ganz gut. Meine Bettnachbarin hatte mich gewarnt, dass sie schnarchen würde. Es hat mich nicht gestört. Die Frauen hinterm Vorhang haben noch um 22:30 laut telefoniert, auch das hat mich nicht gestört.
Folgender Plan: Ich hab nachher nochmal ein Arztgespräch. Ich versuche mich zu entlassen, wenigstens bis zum Wochenende. Was erfordert, dass ich das Alphamethyldopa verschrieben bekomme. Sollte sich das im Gespräch als utopisch herausstellen, komme ich mit meiner Liste.
Ich will in die Wanne. Sollte das wegen Blutdruck, fehlender Abstriche o.ä. unmöglich sein, sollen sie die Abstriche machen und ich gehe auf eigene Gefahr da rein. Wer irgendwas an mir rumschneidet wird verklagt. Ich will die Dammschnittschere nichtmal zu Gesicht bekommen.
Ich werde mich zu keinem Zeitpunkt auf dem Kreißbett in Rückenlage befinden und werde darum auch nicht diskutieren. Anleitung zum Pressen brauche ich nicht. Ich bin die erste, die das Kind berührt.
Die Plazentageburt wird abgewartet. Keiner zieht an der Nabelschnur. Abgenabelt wird nach Geburt der Plazenta. Die Plazenta wird uns ausgehändigt. Niemand verkündet das Geschlecht des Kindes bevor ich es selbst gesehen habe.
Das Kind bleibt bei mir in Hautkontakt. Ich selbst oder mein Mann werden es zu gegebener Zeit anziehen. Das Kind wird ausschließlich gestillt und bekommt keinerlei künstliche Sauger.

8:30 Uhr
Ich muss zum CTG, diesmal roter Kreißsaal, wieder eine andere Hebamme, die Kreißsaalleitung. Sie fragt wieder nach dem Mutterpass. „Ja aber, es muss doch irgendeine Dokumentation geben. Wer ist denn Ihre Hebamme?“ Ich antworte wahrheitsgemäß. „Aha, kenn ich nicht“, in abfälligstem Ton.
Sie stöpselt mich ans CTG, 15 Minuten, dann erscheint OA Dr. A. „Guten Tag Frau B., A. mein Name.“ Noch während er spricht bemerkt er wohl, dass wir uns ja schon von gestern kennen, korrigiert sich aber nicht. Er setzt sich mit der Akte vor mich, sein Telefon klingelt. Er bespricht sich wegen mehrerer anstehender Sectiones mit der Anästhesie. Er legt auf. „Fr. B., Ihre Werte sind ja über Nacht minimal besser geworden. Das heißt nun nicht, dass keine zeitige Entbindung mehr angestrebt werden muss. Was halten Sie denn vom Krankenhaus, Fr. B.?“ „Soll ich ehrlich sein?“ „Bitte!“ „Ich find’s furchtbar hier und will nur nach Hause.“ „Dachte ich mir.“
Ich frage, wie konkret sich dann die Einleitung darstellen würde. Er fängt an mit Gel oder, oder, je nach Muttermundsbefund. Das meine ich aber gar nicht. „Wieviel Mitbestimmungsmöglichkeit bliebe mir denn noch? Wenn ich beispielsweise in die Wanne will und Sie mir jetzt sagen, dass das mit dem Blutdruck ausgeschlossen ist, dann fahre ich nämlich nach Hause und gehe in meine eigene Wanne.“ Er guckt mich mit großen Augen an. „Ich wüsste jetzt nicht, was dagegen spricht, Sie in die Wanne zu lassen. Allerdings haben wir hier 5 Kreißsääle – mit 2 Wannen. Heute ist es wahnsinnig voll. Da Ihr Kind ja auch die ganze Zeit super fit ist (er zeigt aufs CTG), könnte man in Anbetracht der Umstände bis morgen weiter beobachten.“
Ich wittere meine Chance, danke innerlich den Wunsch- und Plansectiomüttern, die gleich ihre Kinder geliefert bekommen und denen, die eingeleiteter Weise seit 6 Uhr in den Fluren auf und ab laufen und frage, ob ich denn dann bis zum morgigen Tag nach Hause kann. Ich äussere meine Hoffnung, dass es von alleine losgeht, wenn ich mir nochmal einen schönen Abend mit meinem Mann mache, meine Kinder nochmal sehe, ich es schaffe nochmal loszulassen. Offiziell darf er das natürlich nicht gut heißen. Ich gehöre im Krankenhaus überwacht, aber er versteht sehr genau, was ich meine. „Frau B., wenn da was passiert, bin ich dran. Dann heisst es: Herr Dr. A., wie konnten Sie die Patientin bloß gehen lassen?“ „Ich möchte selbstverständlich nicht, dass man Ihnen daraus einen Strick dreht. Ich unterschreibe Ihnen alles Notwendige.“ Ich muss versprechen, am nächsten Vormittag wiederzukommen. Er veranlasst meine vorübergehende Entlassung gegen ärztlichen Rat. „Ein Kassenrezept kann ich Ihnen jetzt natürlich nicht ausstellen.“ Auf der Station wird mir das Dopegyt bis zum nächsten Abend ausgehändigt. Meine Sachen könne ich im Schrank lassen, man würde das Bett eh bis morgen so stehen lassen.
Ich kann es kaum fassen und bin ganz kribbelig irgendwie. Seit zwei Tagen kann ich endlich wieder aufs Klo und packe danach eilig meine Sachen. Ich lasse nichts im Krankenhaus, packe alles ein. Die Hoffnung, dass das Kind zuhause kommt, stirbt zuletzt. Ich verabschiede mich von der Bettnachbarin, erzähle ihr noch kurz vom Frühchen einer Freundin, was auch in der 31. Woche kam. Sie bedankt sich dafür, endlich mal einen positiven Ausgang gehört zu haben. Ich schleppe sämtliche Taschen und meinen Bauch die Treppe runter. Als C. kommt, warte ich schon im Foyer. Es regnet noch immer. Er hat ’ne Jacke und feste Schuhe dabei, da wir ja eigentlich mit Einleitung rechneten. Ich ziehe die Schuhe nicht an, sondern mag mir lieber mit Latschen im strömenden Regen nasse Füße holen. Meine Hosenbeine sind klatschnass. Wir sind glücklich, dass wir uns wiederhaben. C. hat etwas weiter weg parken müssen. Wir laufen mit dem ganzen Krempel zu zweit unterm Regenschirm.
Mein liebes Kind, bitte komm. Du hast Zeit bis morgen früh. Niemand rechnet ernsthaft damit, 16 Tage vorm Termin. Aber es wäre so schön. Komischerweise verschwende ich zu diesem Zeitpunkt keinen Gedanken daran, morgen wiederkommen zu müssen.

10:30 Uhr
Sind zuhause. Ich erreiche meine Hebamme im Urlaub und frage, ob irgendwas Gravierendes dagegen spricht, eigenmächtig auf Metoprolol umzustellen, der Klinik fern zu bleiben und abzuwarten. Das könne man so machen, ist ihre Aussage. Zudem rät sie uns zur (ggf. mehrfachen) Eipollösung, wenn der Muttermund offen ist, plus Sperma. Dann abwarten, ob Wehen kommen. “Es wäre schön, du würdest dann in Anbetracht der Umstände in den nächsten zwei oder drei Tagen auch zum Kinde kommen“ , sagt sie ganz sanft und ein bisschen sorgenvoll. Wenn sich nichts tut, könne man Rizinus gering dosiert probieren, fügt sie ein bisschen gequält dazu. Sie hält genauso wenig von Einleitungsexperimenten wie ich. Aber es sieht aus wie unsere einzige Chance. Ich erkläre C., was ein Eipol ist und wie man ihn löst. Dann drapiere ich mich möglichst entspannt aufs Sofa. Er fühlt und findet den Muttermund. Von wegen Fingerkuppe einlegbar. Sein Gesicht, als er den Baby den Kopf streichelt und es sich dabei bewegt ist göttlich. „Oh Gott, da tut sich was! Da ist was Hartes. Es bewegt sich!“ Die männlichen Prostaglandine sollen das Übrige bewirken.
Wir fahren mittags los zur Apotheke. Einlauf und Rizinusöl besorgen. Apotheke 1 händigt das nicht aus. Find ich ja an sich gut, in diesem Moment aber nicht. Apotheke 2 hat die Brühe da. Wir fahren zu meinen Eltern zum Mittagessen und Kinder sehen. Die beiden Großen jammern bei meinem Anblick mal wieder, dass sie ja noch gar nicht mit nach Hause wollen. Ja Kinder, ich liebe euch auch. Meine S. ist emotional angeschlagen, das merke ich deutlich. Sie hängt ’ne Stunde kuschelnd auf meinem Schoß. Um 14:30 trinke ich am Küchentisch meiner Eltern einen Tee und merke die erste Wehe. Sie kommen gleich mit 10 Minuten Abständen, sehr mild, aber spürbar. Die Intensität steigerte sich zusehends, nett vom Muttermund nach oben ausgehend. Gegen 15 Uhr merke ich manche schon ordentlich, andere fast gar nicht. Um 15:15 bemerkte ich eine Zeichnungsblutung. Schlaues, tolles Kind, mach weiter so! Um 15:30 fahren wir nach Hause und räumen ein bisschen auf. Ich verpass mir den Einlauf und räume in der Zwischenzeit die Geburtssachen soweit hin. C. baut den Pool auf. Ich bin happy. Zuhause. Wir sind in Partystimmung, scherzen und lachen und freuen uns noch ein bisschen verhalten, dass die mich morgen nicht wiedersehen werden. Es ist soo schön zuhause.

17 Uhr
Wir gehen durchs Dorf spazieren, Wehen kommen in schöner Regelmäßigkeit inzwischen alle 6 Minuten, ich bepuste manche schon. Wieder zuhause sehen wir „Ziemlich beste Freunde“. Bis 19:45 bleiben die Wehen bei etwa 6 Minuten. Ich bin müde und lege mich gegen 20:30 aufs Sofa. Schlafe noch ein bisschen, wobei die Wehen nur mäßig an Intensität verlieren.

23:35 Uhr
Ich bin wieder wach. Bisschen blutiger Schleimabgang. C. füllt den Pool. Wehen tun weh, alle 5 Minuten. Ich wander wehend durchs Wohnzimmer und fühle mich großartig. Wir lachen und freuen uns wie blöde, dass ich dem Krankenhaus entkommen bin und amüsieren uns über den Schmarrn der letzten Tage. Die Kerzen sind an, es sieht sehr feierlich aus im Wohnzimmer
So um 0:10 bin ich im Wasser. Ich komme gut zurecht, ziehe meine Bahnen. Wehenschmerz nimmt stetig zu. „ Um 2 Uhr sind wir fertig“, denke ich sehr optimistisch. Irgendwann ist es 2 Uhr und ich mag nicht mehr. Ich hab mein typisches Übergangsphasensymptom – direkt nach einer Wehe mehrmaliges leichtes Aufstossen. Der Wehenschmerz nervt, ich mag nicht mehr veratmen, hab (wie immer) keinen Pressdrang und schiebe deshalb einfach mal mit um zu gucken was passiert – nichts. Ne Weile fühlt sich das Mitschieben ganz gut an. Dann plötzlich nicht mehr. Sobald ich mitschiebe, ist der Schmerz danach kaum auszuhalten. Es fühlt sich im vorderen Bauchbereich unangenehm an, als würde mit jeder Wehe meine Blase malträtiert. Ich muss pinkeln. C. begleitet mich zum Klo, drei Tropfen. Irgendwie klemm ich mir da was ab. Wider Erwarten finde ich es an Land erstmal nicht so schlecht. Ich stehe im Bademantel im Wohnzimmertürrahmen und veratme. C. massiert mir das Kreuzbein. Als das doof wird, gehe ich ein bisschen hin und her. Stehe kurz an der geöffneten Terrassentür und blicke in den finsteren Garten. Die Luft ist angenehm kühl und es hat aufgehört zu regnen. Ich habe das Gefühl, dass jeder Lage-oder Ortswechsel kurzfristig etwas Linderung verschafft. Zwischendurch höre ich immer mal mit dem Dopton rein, das Kind zeigt sich völlig unbeeindruckt. Ich esse Traubenzucker und hoffe auf etwas Energie. Es hilft nicht wirklich. Über einem Plastikeimer versuche ich im Stehen zu pinkeln, geht auch nicht. Ich bin hundemüde und gefrustet, weil es nicht so recht vorwärts geht und so weh tut und lege mich aufs Sofa. Ich hoffe eine Wehenpause zu kriegen. Nichts da, sie bleiben. Ich schmeiss mich auf dem Sofa von links nach rechts. Auch doof. Was mache ich denn jetzt? Ich jammer und heule rum. C. soll mal tasten. Er hat ja nun eigentlich keine Ahnung, ist sich aber sicher, dass da ein Rand ist. Er sagt was von 8 cm. Okay, dann veratme ich jetzt noch ’ne Stunde, denke ich mir und finde neue Motivation. Gehe zurück in den Pool. Seitenlage. 3 Wehen links, 3 Wehen rechts. C. füllt zwischendurch warmes Wasser nach. In den Wehenpausen schlafe ich ein. Je wärmer das Wasser, umso schwerer fällt es mir wach zu bleiben. Ich bin so wahnsinnig müde. Sobald die nächste Wehe kommt, schrecke ich aus dem Schlaf auf und habe Mühe, mit dem Schmerz umzugehen. Ich finde nicht mehr so richtig rein. Wenns zu krass ist, hänge ich mich wieder über den Poolrand. Meine Stimmung wechselt. Ich bin verzweifelt, ich bin wütend, ich ermahne mich zur Vernunft. C. wischt mir mit ’nem kalten Waschlappen durchs Gesicht, davon werde ich für einige Augenblicke etwas wacher. Er selbst hockt müde auf dem Sofa. Ich sehe, wie ihm die Augen zufallen. Wir sind beide so fertig. Inzwischen muss es ungefähr 4:30 Uhr sein. Seit 2 ½ Stunden hab ich das Gefühl, dass das Ende fast da ist. Aushalten, einfach aushalten, irgendwann kommt das Kind. Ich beginne wieder mitzuschieben. Nichts tut sich. Warum? Was ist da los? Warum tuts im Blasenbereich so weh? Das hängt doch irgendwo da vorne fest das Kind. Ich gehe in die tiefe Hocke und lehne mich nach hinten im Pool, um das Kind irgendwie anders zu positionieren. Das mache ich eine Weile, ohne Erfolg. Dann kommt der absolute Krisenmoment. Ich denke ans Krankenhaus. Nee, da fahr ich nicht hin. Bis wir jetzt im Krankenhaus sind… So lange halte ich nicht durch. Wie soll ich mit diesen Wehen die Fahrt überstehen? Die Vertretungshebamme für den absoluten Notfall braucht ’ne Stunde bis zu uns. Und dann? Was tut die dann? Sie müsste sich auch erstmal einen Überblick verschaffen … Weitere Gedanken sind mir zu anstrengend. Ich taste nach dem Muttermund, komme schlecht hin. Da ist irgendwas Weiches, ich weiss nicht was das ist. Ne Muttermundslippe? Fruchtblase? Keine Ahnung. C. sitzt am anderen Poolende auf dem Schaukelstuhl. Ich hänge mich vor ihm über den Poolrand und jammere völlig verzweifelt. „Was mach ich denn jetzt bloß?“
„Ich kann ja nochmal tasten“, sagt er ruhig. Ich steige aus dem Pool und schmeisse mich im Vierfüßler aufs Sofa. Er tastet. Zieht die Finger raus, ich gucke nach hinten auf seine Finger. Er hält sie hoch und sagt: “Das sind doch 10 cm, das gibt’s doch gar nicht.“
Es kommt ne Wehe, ich brülle und schiebe mit, es knackt, etwas Fruchtwasser tropft aufs Handtuch unter mir. Ich schiebe mich rückwärts vom Sofa. Gucke kurz aufs Handtuch. Das Fruchtwasser ist klar. Irgendwie klettere ich wieder in den Pool und knie vorm Rand. Eine Wehe kommt, es knackt nochmal, jetzt ist die Fruchtblase ganz auf und ich merke den knöchernen Kopf. Ich fische ein Stück Eihaut aus dem Wasser und werfe es in den Eimer vor mir. Ich frage C., ob das Fruchtwasser klar ist. Ist es. Innerhalb der nächsten zwei Wehen schiebt sich das Kind nach unten. „Gleich ist’s geschafft“, höre ich C. Er streichelt meine Schulter, er ist mein Held. Ich knie, Wehe kommt. „Ja, jetzt“, sagt C., obwohl er nichts sehen kann. Bei der 4. miterlebten Geburt hört man(n) offenbar den beginnenden Kopfaustritt. Ich drehe mich um und stelle das linke Bein auf, der Kopf kommt. Ich fasse hin. Er fühlt sich glitschig an. Ich denke, es sind noch Eihäute drumrum. Ich fühle das straff drumrumliegende Gewebe und hab das Bedürfnis, es mit den Fingern über den Kopf zu schieben. Ich schiebe das Kind raus. Da ist es vor mir im Wasser, ganz zusammengewurschtelt hebe ich es raus. „Ein Mädel, ein Mädchen!“, höre ich C. sagen. Ohne es bewusst zu registrieren (hab es erst später im Video gesehen) wickel ich die Nabelschnur zweifach von ihrem Körper und sehe selbst erstmal nur die dicke Nabelschnurumschlingung, 3x liegt sie locker um ihren Hals. Ich wickle das Geschenk aus, C. hält vorsichtig die Hand unter ihren Kopf. C. kuckt auf die Uhr: „5:31.“. Ich hebe die Kleine zu mir und küsse sie. „Hallo Prinzessin.“ Ich lege sie in meinen Arm, sie wird schnell rosig. Die Nabelschnur pulsiert kräftig. Ich bin erleichtert, dass es vorbei ist und wie eine Welle rollt die Freude über unser Kind an. Sie ist wunderschön. Mein schlaues Mädchen. Wieder blickt Mutter Natur auf mich herab und sagt:“Gut gemacht, Tochter.“
C. legt ihr ein Handtuch über. Sofort ist mir klar, warum das so dauerte. Sie hat sich irgendwo da oben verschanzt und abgewartet, bis der Weg geebnet war. Ich hatte quasi kaum zusätzlichen Druck des Kopfes auf den Muttermund. Dann ist sie in einem Rutsch raus, um jeglichen Zug auf die Nabelschnur zu verhindern. Ich sitze noch eine ganze Weile im Wasser, mir kommt es vor wie wenige Minuten. C. ruft unter Tränen meine Mutter an, es fällt ganz viel Anspannung ab. Beim Aufrichten im Pool rutscht die Plazenta ins Wasser. Die hatte sich wohl gleich mit gelöst. Jedenfalls sieht das Wasser so aus.
Wir ziehen um aufs Sofa. Sie legt sich sehr schnell selbst an. C. ruft gegen 8 Uhr unseren Hausarzt an. Er hatte um 7:30 einen Termin, erreichte aber niemanden telefonisch. „Vorhin ist meine Tochter geboren, ich kann jetzt noch nicht kommen.“ Er bekommt wann später einen Termin und lässt sich die letzten beiden Tage rückwirkend krankschreiben. C. schläft völlig erschöpft am Fußende des Sofas ein. Ich sitze hellwach da und bestaune das kleine Wunder im Licht des Spätsommermorgens

H. F. – 19.08.2015 – 5:31 Uhr – 3280g – 52cm – 33,5 KU

Ich bin dankbar, dass am 18.08. so viele offenbar eine Einleitung wollten (nettes Datum) und für mich keine Zeit war. Ich möchte mir nicht ausmalen, was mir und unserer Tochter geblüht hätte, wenn man die Nabelschnurumschlingung im Ultraschall gesehen hätte oder noch schlimmer, die Kleine während der Einleitung mit Wehenmitteln nach unten gezwungen hätte. Ich bin glücklich, dass ich genug Kraft und Nerven hatte, mich dem Klinikgetöse zu entziehen. Es war eine meiner härtesten Prüfungen. Ich bin restlos überzeugt, dass es Dinge gibt, die zur Geburt führen, von denen wir noch absolut nichts wissen und erleichtert, dass ich diese Kräfte mobilisieren konnte, 15 Tage vor ET. Ich bin meiner Hebamme dankbar, auch wenn sie nicht zugegen war. Ihre Hinweise waren es letztlich auch, die mich überzeugten, einfach zuhause zu bleiben. Unfassbar dankbar bin ich meinem Ehemann. Aber dankbar ist das falsche Wort. Es gibt kein Wort für das, was ich ihm gegenüber empfinde. Er hat mich behandelt wie eine Göttin, er hat mich durch diese Zeit getragen, durch diese Geburt begleitet. Es war unsere gemeinsame Geburt, die Geburt unseres 4. Kindes.

Nachspiel:
C . rief morgens in der Klinik an, um Bescheid zu geben, dass mit uns nicht zu rechnen ist. Dabei stellte sich heraus, dass ich zwar den Bogen „gegen ärztlichen Rat entlassen“ unterschrieben habe. Das Ganze dennoch quasi als Beurlaubung gilt. Männe war todmüde, fuhr aber trotzdem gegen Mittag nochmal hin, um das zu unterschreiben. Natürlich kam nochmal die Ansage hinsichtlich Krampfneigung, Mutter tot, Kind gehört überwacht etc. … Nervig. Unterschreiben musste er dann plötzlich doch nicht. Vermutlich wurde bemerkt, dass ich tatsächlich eine Entlassung unterschrieben hatte. Er bekommt lediglich einen Arztbrief in die Hand gedrückt, in dem nachzulesen ist, wie wenig kooperativ ich mich gezeigt habe.

Am gleichen Tag:
Anruf beim zuständigen Standesamt. Aussage des sehr netten Standesbeamten, dass §33 Personenstandsverordnung gilt. Wenn kein Geburtshelfer zugegen war, ist auch keine Bescheinigung zu erbringen. Ihm reicht die mündliche Anmeldung des Vaters. Ich musste am Tag drauf nicht mal mit hin.
Gegen 20 Uhr rief wieder die Klinik an. Nochmal Theater wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung. So würden wir das Kind nicht anmelden können. C. erklärte ihr tiefenentspannt, dass das sehr wohl geht, er habe bereits mit dem zuständigen Standesamt diesbezüglich gesprochen. Das Kind würden wir morgen anmelden. Es müsse aber dringend die U1 gemacht werden. Männe erklärte, dass wir in Niedersachsen keine U-Pflicht haben. Ja aber, wer ist denn die Hebamme? C. erklärte, dass sie im Urlaub befindlich sei. Das ginge ja nicht, es müsse eine Hebamme dabei sein. „Wenns nun aber keine gibt?! Sie wissen doch, wie es um die freiberuflichen Hebammen bestellt ist?!“ Sie faselt was von einem deutschen Entbindungsgesetz. Männe bleibt cool, erklärt, dass die Hinzuziehungspflicht für Ärzte gilt und nicht für Privatpersonen.“ Ja aber, wir haben da ja auch eine Verantwortung“, sagt die Dame. „Die haben Sie nicht, meine Frau hat sich gegen ärztlichen Rat entlassen.“ Sie hätten sogar mit Ihren Kinderärzten gesprochen. Wenn ich denn schon nicht wieder aufgenommen würde, dann müsse das Kind aber wenigstens … C. weist sie darauf hin, dass es unser 4. Kind ist und wir uns durchaus in der Lage sehen, eine Notsituation zu erkennen und dann das Kind auch unverzüglich ärztlich vorgestellt würde. Dass sie das anders sieht, ignoriert er. Sie glaubt ganz offensichtlich, dass ich die Nabelschnur durchgebissen habe und völlig unbedarft und blauäugig bin. In ihrer offensichtlichen Verzweiflung droht sie mit dem Jugendamt. C.: „Ja, die sollen mal kommen. Dann muss ich mir hier nicht noch weiter von Ihnen meine elterliche Kompetenz absprechen lassen. Wir rufen morgen beim Kinderarzt, der noch bis heute im Urlaub ist, an wegen der U2.“ Damit ließ sie sich besänftigen. Am Ende des Gesprächs liess sie verlauten, dass sie den Kliniknamen ungern im Zusammenhang mit unschönen Vorfällen in der Zeitung lesen wollen.
Am nächsten Tag hat C. die Kleine völlig unkompliziert in unserem Provinzstandesamt angemeldet. Der sehr junge, kompetente und freundliche Standesbeamte freute sich riesig, mal eine Geburt eintragen zu dürfen und wir bekamen sämtliche Urkunden noch am gleichen Tag. Den Flur des Standesamts wird demnächst ein Bilderrahmen zieren. Unsere beiden hier geborenen Mädels und „Born in P.“

Zwei Wochen nach der Geburt war meine Hebamme aus ihrem Urlaub zurück und kam zu einer „Nachsorge“. Wir haben uns lange über den Verlauf unterhalten. Seltsam ist schon, dass ich erst in der 4. Schwangerschaft eine Gestose entwickelte. In allen anderen Schwangerschaften war das nie ein Thema. Die bisher eingefrorene Plazenta hatte ich aufgetaut. Sehr auffällig war, dass die mütterliche Seite der Plazenta eine sehr glatte Struktur hatte. Normalerweise sieht man dort quasi Inseln und tiefere Furchen. Das war bei unserer Plazenta nur sehr schwach ausgeprägt, was laut Hebamme die zügige Lösung der Plazenta begünstigt haben könnte. Zudem war die Nabelschnur mit über 80cm recht lang. Ob die Erhöhung des Blutdrucks letztlich in unserem Fall sogar notwendig war, um die kindliche Versorgung sicherzustellen, darüber kann man nur mutmaßen. Ich selbst denke, dass da was dran ist an der Theorie.

8 Gedanken zu „Alleingeburt trotz Präeklampsie, mehrfache Nabelschnurumschlingung“

  1. Ein mutmachender, fantastischer Geburtsbericht! Vielen Dank dafür.
    Ich würde sehr gerne wissen, warum das Mittel der (eigenen) Wahl schließlich Metopolol war?
    Nochmal danke für das Aufzeigen von diesem Weg zur Geburt!
    Herzliche Grüße Johanna

    1. Das Dopegyt (Alphamethyldopa) hätte ich von der Klinik ja nicht für einen längeren Zeitraum verschrieben bekommen… Bisoprolol – hätte ich die Tabletten von meinem Mann nehmen können. Da aber Metoprolol als besser geeignetere Alternative in der Schwangerschaft gilt, entschied ich mich letztlich dafür. Ich hätte die Tabletten von meinem Vater nehmen können. Letztlich war das alles ja dann doch nicht nötig. Der Blutdruck hat sich übrigens in den ersten Wochen nach der Geburt ohne jede Medikation wieder reguliert.

  2. WAHNSINN!!! Ich ziehe meinen Hut vor dir. Ich muss das erstmal verdauen. Erwarte auch mein 4. Kind und bin erst vor ein paar Tagen mit diesem Thema in Kontakt gekommen. Ich hab schon mit derben Kommentaren und Angstmache bei der 3. Geburt (geplante und gelungene Hausgeburt) zu kämpfen gehabt. Ich muss darüber nachdenken. ..das hat mit wirklich beeindruckt!
    Vielen Dank

  3. In Niedersachsen sind die U-Untersuchungen NICHT Pflicht? Wo steht das? Man bekommt doch ständig diese Schreiben, dass das Jugendamt informiert werden würde, wenn man nicht hingeht?

    1. http://www.soziales.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=209&article_id=454&_psmand=2

      Da steht nichts zu den tatsächlichen rechtlichen Konsequenzen. Wir hatten mal Theater, weil diese Antwortkarte zur U6 war es damals bei unserer Zweitgeborenen, auf dem Postweg verschwunden war. Dann gab es noch blöde Überschneidungen wegen Feiertagen und das Landesamt war telefonisch nicht erreichbar und keiner fühlte sich zuständig. Letztlich rief dann die Dame vom zuständigen Jugendamt bei uns an. Sie war ziemlich genervt, weil es letztlich keine Konsequenz gibt und diese Fälle bei ihr auf dem Tisch landen und sie jede Menge wichtigere Dinge zu erledigen hat. Ich hab ihr angeboten zu Kaffee und Keksen vorbei zu kommen um sich vom guten Allgemeinzustand unserer Kinder zu überzeugen. Das fand sie sehr nett, hielt es aber für nicht notwendig. Es gibt keine rechtliche Grundlage, die den Zutritt zu unserem Haus durch das Jugendamt rechtfertigt. Eine nicht durchgeführte U stellt laut ihrer Aussage keinen Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls dar. Sie hat letztlich notiert, dass diese U durchgeführt wurde und die Karte verschollen ist und sagte mir, dass sie sich bei den Familien, die keine Us durchführen lassen einen Vermerk macht (Familie xy wünscht keine U-Untersuchungen) und damit ist die Sache erledigt.
      Also , keine Angst vorm Jugendamt.

  4. Das soll bitte kein Vorbild für die werdenden Mütter sein. Du hattest Glück gehabt und alles ist super gelaufen. Was wäre wenn du wirklich eine Eklampsie während der Geburt hättest? Hast du Zuhause die nötigen Medikamente? Kannst du selber oder dein Mann eine Braunule legen oder sogar einen Kaiserschnitt machen? Was wäre mit einer stärkeren Nachblutung,die häufiger bei mehrgebährenden vorkommt(Uterus Atonie)? Verfügst du über Oxytocin? Ich kann noch viele mögliche Komplikationen nennen. Die Ärzte sehen täglich viel mehr als du und ich und in diesem Fall wissen sie meistens besser. Also,bitte nicht alles auf leichten Schulter nehmen…

  5. Danke, dass du den Beitrag veröffentlicht hast. Ich bin selbst gerade in der 29. Woche und so langsam macht man sich Gedanken um die Entbindung.
    Ich bin auch keine Elfe und habe auch schon seit Beginn der Schwangerschaft einen zu hohen RR. (Was aber auch mit meiner ärztlichen Betreuung zusammen hängen könnte. ) Wenn ich alleine messe, oder meine Hebamme, habe ich immer einen RR um die 120 oder 130/ 80. Mir wurde schon „schummeln“ unterstellt- von Seiten der Ärztin- und ein defektes Gerät. Komischerweise hat meine Hebamme immer die selben Werte wie ich.

    Jetzt soll ich eine Sectio machen lassen. Ich hasse Krankenhäuser und schon alleine der Gedanke, dass ich dort auch nur einen Tag verbringen müsste, macht mir Übelkeit. Meine Meinung zu diesem Vorschlag ist, dass die mich mal ganz gepflegt in Ruhe lassen können.

    Kind bewegt sich gut und schön. Ich habe auch keine Ödeme, kein Eiweiß nichts. Mein Mann ist medizinisch ausgebildet, den habe ich bei der kleinsten Möglichkeit auf Ödeme mich abtasten lassen.

    Ich kann diese schwarzmalerei nicht mehr ertragen. Ja, es kann was schief gehen. Aber das kann es auch beim Autofahren und beim Putzen. Man ist nie 100% sicher vor irgendwas. Ich finde die Mütter werden damit nur verrückt gemacht. Man muss die schlimmsten Möglichkeiten nicht immer zu Gebetsmühlenartig wiederholen.

  6. Was für ein großartiger (und großartig geschriebener) Geburtsbericht! Ich habe große Hochachtung vor deiner Stärke und Intuition. Ich hatte zwei schöne, unkomplizierte Geburten (im KH, aber intim, lediglich begleitet von meiner strickenden Beleghebamme), aber ein solches Gespür die körperlichen Vorgänge, den Fortschritt der Geburt usw. wie du es hast, das hatte ich nicht und ich stelle es mir toll vor.

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