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Warum vegan?

Über viele Jahrtausende der Menschheitsgeschichte wurden tierische Lebensmittel hoch geschätzt. Die Menschen jagten oder weideten ihre Herden. Kein bekanntes Volk verzichtete ohne Not auf Eier, Milch, Fleisch, Fett und Innereien. Wenige Gruppen aßen aus religiösen Gründen kein Fleisch und nur von vielleicht einer Handvoll asketisch lebenden Gemeinschaften (Männern in der Regel) ist historisch bekannt, dass sie vollständig auf tierische Lebensmittel verzichteten. Häufiger finden sich Völker, die sich traditionell vorwiegend oder fast ausschließlich von tierischen Lebensmitteln ernährten, wie die Eskimo in Alaska, die Massai in Kenia, die Indianer Kanadas oder die Hirtenvölker der Mongolei.
Nicht überall wurde so viel Tierisches gegessen wie bei den genannten Völkern. Trotzdem scheint sich die Menschheit insgesamt darüber einig, dass tierische Lebensmittel einen Vorteil darstellen, der mit Gesundheit verknüpft wird, und auf den niemand gern verzichtet.
Erscheint es da nicht als gewagtes Experiment, die Wege unserer Vorfahren zu verlassen und sich beim Erhalt der Gesundheit und beim Wachstum der eigenen Kinder ganz auf pflanzliche Lebensmittel verlassen zu wollen? Viele Experten, die eine ausschließlich pflanzliche Ernährung vertreten, gehen inzwischen sogar soweit, unsere modernen Krankheiten dem Konsum von beispielsweise Milch oder Fleisch anzulasten. Die passenden Studien werden in der Regel schnell gefunden oder die Daten entsprechend interpretiert, ungeachtet der Tatsache, dass historische Fakten generell dagegen sprechen. Vegetarisch und vegan ist „in“.
Aber was ist es wirklich, das immer mehr, vorwiegend junge Frauen, bewegt, diesen historisch so gut wie unerprobten Weg zu gehen?
Zumeist wird das Mitgefühl mit den Tieren angegeben, an dessen Leid und Tod man nicht Schuld sein will. Gezielt setzen Verfechter der ausschließlich pflanzlichen Ernährung Fotos und Filme dafür ein, um ihre Sache emotional zu unterstreichen. Beispielsweise, indem Filme aus Schlachthöfen oder Fotos von Menschen in der Rolle von Kühen gezeigt werden. Die Kampagnen wollen schockieren und bleiben nicht ohne Wirkung.
Aber ist es tatsächlich so, dass eine pflanzliche Ernährung Leid verhindert? Auf der einen Seite vielleicht. Auf der anderen Seite sterben Rehkitze und Hasen, wenn ein Mähdrescher ein Getreidefeld aberntet. Unsere Landwirtschaft, auch jene, die biologisch ist, aber in großem Stil stattfindet, beraubt vielen Tieren ihres Lebensraumes. Und sind nicht auch sämtliche Insekten und Mikroorganismen Lebewesen? Leiden sie weniger, wenn sie in eine Mühle oder auf unsere Windschutzscheibe geraten, als Kühe beim Schlachter? Oder ist das Leid, dass sich besser beobachten lässt, automatisch schlimmer, als das, was weniger offensichtlich ist? Und was ist mit den Pflanzen selbst? Sie können zwar nicht weglaufen oder atmen, aber auch sie sind Lebewesen. Leiden sie etwa nicht, wenn man sie ausreißt, zerschneidet, zermixt, kocht und isst? Inzwischen gibt es Forschung, die zeigt, dass Pflanzen miteinander kommunizieren können. Zum Beispiel weiß eine Pflanze, wenn ihre Nachbarin Trockenheit leidet, und trifft dann entsprechende Vorkehrungen für sich selbst. Pflanzen wehren sich mit bestimmte Stoffen und Giften gegen Fressfeinde. Sie sind also durchaus Lebewesen, die ihr Leben – soweit es ihnen möglich ist – verteidigen.
Es scheint offenbar in der Gesamtheit unmöglich, als Mensch nicht auch Leid und Tod zu verursachen. Außer vielleicht, man lebt als Einsiedler in seinem eigenen großen Garten und ernährt sich nur von Früchte. Aber ohne die Samen, versteht sich, denn da sind ja die Babys unserer Pflanzen drin!
Vielleicht versteht ihr, worauf ich hinaus will. Es erfordert ein utopisches, nicht mit der Realität in Einklang zu bringendes Leben, will man nicht der Urheber von Leid für irgendjemanden sein. Und dann tritt man doch aus Versehen auf eine Schnirkelschnecke…
Raubtiere haben keine Hemmungen zu jagen und Fleisch zu fressen. Hühner und andere Vögel ziehen genussvoll den Regenwurm aus seinem Loch. Und selbst Kühe haben kein schlechtes Gewissen, wenn sich zwischen dem Gras, das sie fressen, Fliegen, Mücken, Blattläuse und dergleichen befinden. Jedes Lebewesen tötet – absichtlich oder aus Versehen – andere Lebewesen oder fügt Leid zu. Tod und Leid scheinen zum Wesen dieser Welt zu gehören und eine Tatsache zu sein, der wir uns nicht entziehen können. Glauben wir Menschen tatsächlich, wir könnten uns aus diesem Kreislauf herausnehmen, zu dem wir eigentlich gehören?
Damit meine ich natürlich nicht, dass es uns egal sein sollte, wie Tiere gehalten werden. Ich sorge, so gut ich kann, für meine Tiere und bemühe mich, soweit es mir möglich ist, eine Landwirtschaft zu unterstützen, in der Tiere ordentliche Lebensbedingungen bekommen. Aber ich schlachte auch meine eigenen Kaninchen und esse Fleisch. Wie man schlachtet, hat mein Opa an meine Mutter und meine Mutter an mich weitergegeben. Leider hat das moderne Leben für die meisten von uns dazu geführt, dass wir vom Leben unserer Vorfahren fast vollständig abgeschnitten sind. Bräuche und Kulturpraktiken, die über Jahrhunderte gepflegt und weitergegeben wurden, sind den meisten von uns fremd geworden. Die Moderne hat eine neue Kultur geschaffen, in der wir zwar Autos, Handys und Computer bedienen können, aber keinen Bezug mehr zu dem haben, was das Leben noch bis vor etwa hundert Jahren für die meisten Menschen ausmachte. Wir haben unsere eigene moderne Kultur mit unseren eigenen Glaubenssätzen geschaffen. Nicht mehr Gott, der christliche Glaube oder die Weisheit unserer Eltern und Großeltern sind der Maßstab für unser Leben, sondern das, was gewisse Experten oder auch wir selbst als Wahrheit anerkennen. Dabei können wir heute frei aus einem großen Angebot das wählen, was uns gefällt. Das mag seine Vorzüge haben, aber es lässt uns auch in so ziemlich allen Aspekten des Lebens mit einer gewissen Orientierungslosigkeit zurück.
Ich bin, historisch gesehen, nur ein Glied in einer langen Kette von Vorfahren, die übrigens alle nie auf die Idee gekommen wären, sich rein pflanzlich zu ernähren. Ich bin, biologisch gesehen, nur ein kleiner Teil im großen Kreislauf der Natur, wo jeder mit seinem Leben zum Leben eines anderen beiträgt. Die Pflanzen haben meinem Kaninchen Leben gegeben, mein Kaninchen gibt mir mit seinem Leben, was ich zum Leben brauche, und ich gebe durch Schwangerschaft, Stillen, meine Zeit und Arbeit meinen Kindern ein gutes Leben. Und wenn ich einmal tot bin, dann wird mein Körper diversen Bakterien, Pilzen und Kleinstlebewesen ein reichliches Festfressen bescheren.

Warum also vegan? Manchen Menschen geht es gesundheitlich auf einmal besser, wenn sie beispielsweise Milch weglassen. Weil die Milch ihnen Beschwerden bereitet, schlussfolgern sie daraus, Milch wäre ungesund. Da Milch, wie wir gesehen haben, historisch schon lange ein beliebtes und mit Gesundheit assoziiertes Lebensmittels des Menschen ist, gibt es in der Regel wohl andere Gründe für die bestehenden Probleme mit der Milch. Das sind häufig:

– Pasteurisieren und Homogenisieren der Milch – unbehandelt, wie Milch traditionell getrunken wurde, wird sie sehr häufig trotzdem vertragen.
– Eine nicht artgerechte Fütterung der Tiere, die die Qualität der Milch verändert.
– Eine durch die moderne Lebensweise schwache Verdauungstätigkeit, die nicht mehr in der Lage ist, Eiweiße gut zu verdauen.

Letzteres Problem scheint inzwischen recht häufig zu sein. Hier sorgt ein Verzicht auf alle problematischen Lebensmittel zwar für Beschwerdefreiheit, auf Dauer fehlen dem Körper aber Substanzen, die dieser zum Erhalt seiner Zellfunktionen benötigt. Eine spezielle Diät, beispielsweise die GAPS-Diät, zu der der zeitweise Verzicht auf alle Getreideprodukte zählt, kann helfen, denn Darm zu heilen. Eiweiße aus rohen oder fermentierten Lebensmitteln zusammen mit viel ursprünglichem Fett (Butter, Schmalz, Olivenöl), und gelatinehaltigen Knochenbrühen geben dem Körper dabei in leicht verdaulicher Form, was er braucht.

Warum vegan? Für mich gibt es keinen triftigen Grund für diese asketische Lebensweise. Und für dich?