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Die Hausgeburt meines ersten Kindes

Nach einigen unschönen Besuchen bei einer Frauenärztin (wo meine Schwangerschaft festgestellt wurde) und den Beobachtungen in den Kreißsälen eines hiesigen halleschen Krankenhauses während meines Praktischen Jahrs als Medizinstudentin stand für mich sehr schnell fest, dass ich, wenn irgend möglich nicht in die Hände von Ärzten geraten wollte, solange Schwangerschaft und Geburt normal verliefen. Ich „kündigte“ also meiner Frauenärztin und teilte ihr mit, dass ich von jetzt an die Schwangerenvorsorge bei der Hebamme machen lassen wollte. Sie erwiderte entsetzt: „Da kann ich aber keine Verantwortung für übernehmen.“ Ich war die ewige Bevormundung durch sie leid und verabschiedete mich mit einem freudigen „Dafür brauchen Sie auch nicht verantwortlich zu sein.“ Ich würde sie nie wiedersehen und war glücklich mit meinem Plan, obwohl ich bis dahin noch gar keine Hebamme hatte. Allerdings eine Empfehlung von einem Kollegen meines Mannes, dessen Frau bei Constanze im Geburtshaus entbunden hat. Ich war im 4. oder 5. Monat und Constanze war noch nicht ausgebucht. So ging ich ab da zu ihr und Schwangersein begann Spaß zu machen. Endlich wurde ganz natürlich mit meiner Schwangerschaft umgegangen und nicht so, als lauerte die Katastrophe hinter jeder Ecke. Ich durfte selbst bestimmen, was ich wollte und was nicht, wurde ernst genommen und niemand kam mit dem erhobenen Zeigefinger und apokalyptischen Szenarien, wenn ich ein CTG nicht wollte oder sonst etwas nicht. Nur zum Ultraschall ging ich zum Frauenarzt, was ich mir im Nachhinein aber lieber hätte schenken sollen. Der Befund zeigte einen leichten, beidseitigen (und wie sich später herausstellte vorübergehenden) Nierenstaus und handelte mir nur unnötigen Stress ein. Ich war zur Fein-Sono und Worte wie „Softmarker für Trisomie“, „Fruchtwasserpunktion“ und „eventuell aus der Schwangerschaft aussteigen“ fielen. Natürlich lässt einen das nicht unberührt, aber ich entschied, lieber ein behindertes Kind zu kriegen, als ein gesundes durch eine invasive Untersuchung zu gefährden. Wie in allem wollte ich Gott vertrauen, dass er die Dinge in der Hand hat. Ich war mir irgendwie auch sicher, dass mein Kind gesund sein würde.

Mir ging es bis zum Schluss blendend, ich fühlte das Baby strampeln und wusste, auch als ich fast eine Woche über den Termin ging, dass alles in Ordnung ist. Ab und zu ging ich in der Zeit, als ich über dem Termin war, dann doch zum CTG. Weil es die Hebammen beruhigte und weil es nett war sie zu sehen.

Der 13. September war der errechnete Entbindungstermin nach der letzten Regel. Da ich in dem Zyklus, in dem ich schwanger geworden bin, die Temperatur gemessen hatte, wußte ich, daß der Eisprung später gewesen war und stellte mich schon darauf ein, daß das Kind länger brauchen würde. Ich rechnete mit dem 17.9., schließlich dauerte es aber noch 6 Tage länger.

Zum Ende hin wurden wir dann doch ungeduldig, da der Urlaub meines Mannes dem Ende entgegen ging und unser Umzug ins Ausland näher rückte.

Am 21. und 22. hatte ich nachts schon mal ein paar Wehen und mein Darm verhielt sich anders als sonst. Es würde also bald losgehen.

Gegen Mitternacht auf den 23. versuchten wir es noch einmal mit natürlichen Prostaglandinen, woraufhin der Schleimpfropf kam. Erstmal sind wir aber schlafen gegangen. Gegen drei kamen die Wehen schon so, daß ich aus dem Bett sprang, um sie zu veratmen. Dann legte ich mich jeweils wieder hin, schlief/döste 10 oder 15 Minuten, um für die nächste Wehe aufzuspringen. Ich wollte keine Pferde scheu machen, schließlich dauert so eine Eröffnungsphase eine ganze Weile. Mein Mann war zwar aufgeregt, schlief aber trotzdem noch ein paar Stunden. Ich hatte mich früh für Hausgeburt entschieden, weil es mir das Natürlichste erschien, das Kind dort zu bekommen, wo es gezeugt wurde. So mußten wir uns auch keine Gedanken über einen Aufbruch irgendwohin machen. Als es draußen hell war, hatte ich endgültig keine Lust mehr auf Bett. Wir standen auf und gingen an diesem stillen, schönen Morgen spazieren. Die Sonne schien und alles war so frisch und friedlich und ich dachte mir: Ein schöner Tag zum Geborenwerden!

Die Wehen waren gut im Laufen auszuhalten, kamen in 10-15 Minuten Abständen. Mein Mann stoppte sie mit seiner Stoppuhr, was mich bald so nervte, dass die Wehen eine Weile in größeren Abständen kamen und schwächer wurden.

Wieder zu Hause war auch meine Schwester wach, die bei uns zu Besuch war, in der Hoffnung, die Geburt noch mitzuerleben. Sie hatte ab Montag Prüfungen und es war schon Samstag. Sie wunderte sich, dass wir so früh auf waren. Normalerweise schliefen wir bis mindestens 10 Uhr. Ich sagte, wir hätten eine kurze Nacht gehabt, aber sie schnallte lange nicht, was wir ihr sagen wollten. Als ich sagte, ich habe Wehen, war sie ganz aus dem Häuschen. Sie würde dabei sein!

Mein Mann ließ mir derweil ein Bad ein. Es war ganz nett, die Wehen im Wasser zu beatmen, aber mir war schnell klar, daß das mit der Geburt nichts ist für unsere schmale, rutschige Wanne. Um 11 rief mein Mann die Hebamme an. Constanze war gerade bei einer anderen Geburt im Krankenhaus und so kam Hebamme Maria vorbei, die ich so vom Sehen kannte. Ich stieg aus der Wanne, sie untersuchte mich. Muttermund war bei 4 cm. Das war doch schon mal was.

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Mein Mann begann also, die Geburtssuppe aufzutauen, die er vorher gekocht hatte und mit Nudeln zu versehen. Maria fragte mich, ob es mir lieber wäre, wenn sie später wiederkäme oder ob sie dableiben soll. Ich sagte: „Ach, geh ruhig. Ich kann das noch eine Weile alleine händeln.“

Sie schrieb mir ihre Nummer auf, damit ich sie anrufen kann, aber dann wurden die Wehen stärker und sie blieb, obwohl ich mir eigentlich wünschte, dass sie wieder ginge. Ich sagte aber nichts und dachte nur: „Augen zu und durch.“ Was keine so gute Idee war, wie sich später rausstellte. Mein Mann kam fast nicht zum Suppe machen, weil er mir in jeder Wehe das Kreuzbein massieren musste. Das half ungemein.

Die Suppe war kaum fertig, da bekam ich richtig Hunger und mit vielen Unterbrechungen zum Wehen veratmen aß ich. Vorsorglich stellte ich mir noch einen Eimer hin, falls es wieder herauskommen sollte (was es aber nicht tat).

Der Geburtsplatz mit meiner Schwester im Hintergrund

In der Stube hatten wir die Geburtsstätte hergerichtet: Die Couch ausgeklappt, davor eine dünne Matratze, alles mit alten Laken bedeckt. Kaum war die Suppe gegessen, ging’s so richtig los. Ich hatte kein Gefühl mehr für Zeit. Eine Wehe nach der anderen kam. Irgendwann war ich bei 8 cm. Eine zweite Hebamme war dazugekommen, weil sie die Geburt nun bald erwarteten. Allerdings stand noch ein Saum vom Muttermund und sie konnten die Pfeilnaht zuerst nicht tasten. Ich bekam irgendwelche Globuli, was nicht half, wohl weil ich auch nicht dran glaube. Mein Mann (ist auch Arzt) legte mir eine Braunüle und sie spritzten mir Buscopan während einer Wehe, in der Hoffnung, es würde den Muttermund weicher machen. Schließlich stellten sie fest, daß der Kopf gerade stand, sich nicht ins Becken gedreht hatte. Sie ließen mich im Wechsel jeweils drei Wehen auf der einen und dann auf der anderen Seite liegen, schüttelten mein Becken und gaben sich optimistisch, daß das Kind sich sehr wahrscheinlich noch drehen würde. Ich merkte trotzdem, daß sie besorgt waren und hatte Angst, im Krankenhaus zu enden. Ich konnte mich erinnern, daß ein hoher Geradstand im Krankenhaus sehr oft Kaiserschnitt bedeutet und den wollte ich auf keinen Fall. Die Wehen waren zu der Zeit sehr schmerzhaft, wohl weil Babys Kopf immer gegen den Muttermundsaum drückte. Ich kämpfte mit dem Schmerz und mein Mann war mit den Nerven fertig, weil ich dauernd jammerte: „Es tut so weh! Wann hört das auf?“

Die zweite Hebamme ging wieder und Maria telefonierte mit Constanze, schilderte ihr den Fall. Constanze kam endlich und irgendwie brachte ihr Erscheinen den Wendepunkt. Sie strahlte so viel Optimismus aus, daß ich wieder sicher war, es schaffen zu können. Ich stand auf (dieses auf der Seite Liegen hatte sich von Anfang an so ineffektiv angefühlt), wiegte mein Becken hin und her und versuchte, trotz der Schmerzen und der anwesenden Leute tief in mich rein zu hören und meinen Instinkten nachzugehen. Irgendwie war mir ab einem bestimmten Punkt bewußt, daß die Hebammen keinen wirklichen Plan hatten und ich selbst aktiv werden mußte. Ich glaube, gespürt zu haben, als der Kopf dann endlich ins Becken kam. Die Wehen waren weiterhin echt übel und ich atmete eine Zeit lang in eine Tüte, weil mir die Hände und das Gesicht vom zu hektischen Atmen kribbelten. Constanze untersuchte mich noch mal und drückte dabei den immer noch stehenden, schmerzenden Muttermundsaum über das Köpfchen weg, was ebenfalls sehr schmerzhaft war. Dann meinte sie, ich solle mal versuchen anzudrücken. Das tat ich und schon waren die Preßwehen da. Ich gab mich den Urgewalten hin, so froh zu wissen, daß das Baby auf dem richtigen Weg war. Ich schrie und machte Laute jenseits von dieser Welt. Die Fenster standen offen, weil mir so warm war, aber mir war es so egal, was die Nachbarn dachten. Mein Mann feuerte mich mit „pressen, pressen“ an, wie er es gelernt hatte, bis die Hebamme meinte, es reiche, wenn ich während der Wehen presse. Am Schluß war ich im Vierfüßler auf unserer Couch und krallte mich in einen dauernd zusammenfallenden Kissenstapel vor mir. Es brauchte ein paar Anläufe, um den Kopf über den Damm zu bringen. Constanze machte Dammschutz und Massage mit Dammassageöl und heißem Kaffee, soweit ich mitbekommen habe. Die Massage fand ich unangenehm und herrschte sie an: „Was machst du da?“

Es brannte, als der Kopf kam und ich dachte: Ist der immer noch nicht draußen? Wie groß ist der denn noch? Ich war ganz ungeduldig, ihn rauszukriegen und schaffte es schließlich, auch weil die Hebamme damit drohte mitzuhelfen, wenn ich’s bei der nächsten Wehe nicht schaffe.

Dann ein Ruckeln und Ziehen. Die Schultern, dachte ich. Und dann lag sie unter mir. Streckte die Arme von sich und guckte mit ihren großen Augen ganz erstaunt in die Welt. Es war 17.13Uhr. 

Ich blutete wohl stärker, so daß die Hebammen sich beeilten, sie abzunabeln (die Nabelschnur durfte der Papa durchschneiden) und die Plazenta zu holen. Aber ich fühlte mich gut und wußte, daß alles in Ordnung ist. Es war ein Scheidenriß, der blutete, wie sich dann herausstellte (wohl vom Pressen außerhalb der Wehen). Ich bekam sie auf den Bauch und war so erleichtert und froh.

Nur mein Zwischenbeinbereich brannte ganz unangenehm und ich war zuerst gar nicht begeistert, als Constanze meinte, daß sie nähen wollte. Ich hatte im Krankenhaus oft gesehen, wie schmerzhaft die Naht für Frauen war, trotz Betäubung. Am Ende hab ich so gut wie gar nichts gemerkt. Johanna Luise wurde gewogen, gemessen, angezogen und ich telefonierte mit meiner Mama, um das freudige Ereignis mitzuteilen.

Dann zogen wir um ins Schlafzimmer. Die anderen räumten ein bisschen auf.

Ich schlief wie ein Stein in dieser Nacht. Mein Mann beruhigte die Kleine, die sich mit dem Absetzten des Kindspechs plagte. Meine Schwester war ganz gerührt. Es war die erste Geburt, die sie gesehen hat und ich freue mich, daß sie dabei sein konnte. Die Nachbarn haben wider Erwarten gar nichts mitbekommen.

Die Maße: 3120 g schwer, 50 cm lang, 35 cm Kopfumfang