Alleingeburt am See

Da ich ja gerade auf meine eigene Geburt warte (heute ET+5 und noch alles recht ruhig), nutze ich die Ruhe, um den Geburtsbericht einer anderen Mama mit euch zu teilen. Hier bei uns schneit es seit dem Morgen und an eine weitere Draußen-Geburt ist für mich leider nicht zu denken. Diese Mama hatte dank wärmerer Jahreszeit mehr Glück mit dem Wetter und entschied sich für eine Geburt im Freien am See. … Ob ich auch irgendwann noch mal in den Genuss einer Draußen-Geburt komme? Viel Spaß beim Lesen! 🙂

Ich hatte eigentlich im Geburtshaus gebären wollen, da aus unserer damaligen Wohnsituation heraus eine Hausgeburt nicht möglich gewesen wäre. Da ich aber aus gesundheitlichen Bedenken der Auswirkungen auf mein Baby gegen die Verwendung von Ultraschall war und somit kein Abschluss-Ultraschall existierte, dadurch auch keine Beobachtung der Herztöne mit Dopton für mich infrage kam, fiel diese Option weg.
Ich las sehr viel im Internet, auch Bücher wie die selbstbestimmte Geburt, Hypnobirthing oder Geburt und Stillen. Daraus erwuchs in mir die Überzeugung, dass die risikoärmste Geburt die ist, bei der ich mich zu 100 Prozent wohlfühle.
Also konzentrierte ich mich auf mein Inneres und fragte mich: Wie stellst du dir eine Geburt am schönsten vor? Und da wusste ich, dass ich in der Natur gebären wollte. Mir war klar, dass eine Geburt nur ohne Angst gut verlaufen konnte und beobachtete stark meine Gefühle und Träume, die ich in Verbindung mit der Geburt hatte. Ich träumte ständig von der Geburt, wie ich unser Kind schnell und schmerzlos bekam. Es flutschte einfach mal so beim Laufen heraus oder ich gebar es innerhalb von fünf Minuten hinter einer Hecke mitten im Prenzlauer Berg. Nicht alle Träume waren grundsätzlich positiv – die negativen waren die, wo sich plötzlich irgendein Arzt oder eine Hebamme einmischen wollte.
Schon seit Beginn der Schwangerschaft war mir die ärztliche Vorsorge zuwider. Meine Frauenärztin feuerte mich, weil sie meinte, ohne Ultraschall wolle sie meine Schwangerschaft nicht mehr begleiten. Mein neuer Frauenarzt tolerierte zwar diese Entscheidung, aber machte auch Kommentare, ebenso wie das Personal. Dazu noch dieses ständige Rumgefummel da unten (was mir nun mal wehtut), ich fühlte mich danach jedes Mal vergewaltigt, diese Panikmache und Vorwürfe wegen meiner Ultraschallverweigerung, diese Tests (wie der Schwangerschaftsdiabetes-Test) ohne dass ich in irgendeine Risikogruppe fiel … Ab dem 6. Monat ging ich einfach nicht mehr hin. Sollte ich spüren, dass etwas nicht stimmt, klar. Aber solange alles gut ging, wollte ich nicht mehr zum Arzt. Das machte mir sonst nur wieder tagelang schlechte Laune.
Vor der Geburt selbst hatte ich keine Angst, sondern eher davor, dass dann mit dem Baby etwas nicht stimmte, wenn es draußen war. Ich versuchte, mir für solche Fälle etwas Wissen anzulesen (damals war das Alleingeburts-Buch leider noch nicht heraus), hauptsächlich bereitete ich mich aber mit Entspannungsübungen auf die Geburt vor.

Vorbereitungen wurden getroffen, eine Generalprobe abgehalten. Essen war tiefgekühlt, das Auto bepackt mit Luftmatratze, Decken, Handtüchern, Wasser, Plane und was man sonst noch braucht.
Drei Tage vor Entbindungstermin und einen Tag vor der Geburt war ich den ganzen Tag über müde, abends futterte ich der Familie den Tisch leer. Ich dachte mir dabei nichts, da man mir prognostiziert hatte, über den Termin zu kommen. Ich verließ mich auf das „Zeichnen“ (das ich aber nicht hatte).
Gegen drei Uhr morgens wachte ich auf, tat das, was ich fühlte, als Vorwehen ab und schlief weiter bis um vier. Dann wachte ich wieder auf, war aber auch sofort richtig wach und fühlte, dass sich die Vorwehen diesmal anders anfühlten. Es tat nicht die ganze Zeit weh, sondern es kam alle paar Minuten wieder, und vor allem zog es in den unteren Rücken rein. Ich weckte meinen Freund und wir statteten der Badewanne einen Besuch ab. Bis zu dem Punkt konnte ich eigentlich noch nicht glauben, dass es wirklich losging. Ich badete und die Schmerzen ließen nach, aber alle drei Minuten fühlte ich dennoch leichte Krämpfe in meinem Bauch. Da wussten wir dann Bescheid. Ich versuchte, meine beste Freundin anzurufen, die bei der Geburt mit dabei sein sollte, aber sie ging nicht ran.
Tom und ich packten alles, was noch gepackt werden musste und los ging es. Im Auto kamen die Wehen alle drei bis vier Minuten und ließen sich gut mit der Hypnobirthing-Atmung veratmen. Gegen 8 waren wir da. Den schlimmsten Regen hatten wir gerade verpasst, das Gefühl sagte uns aber, dass gutes Wetter werden würde. Als ich Tom half mit dem Sachentragen, häuften sich die Wehen sehr und kamen dann sogar alle 30 Sekunden. Ich fragte mich, ob das Baby gleich rausplumpsen würde und frohlockte darüber, wie gut erträglich der Schmerz war (ich Ahnungslose!).
Als wir ankamen, bauten wir alles auf und kaum hatte Tom die Plane über uns gespannt, fing es an zu regnen. Wir kuschelten uns auf die Matratze und ich blieb seitlich, mit meinem Bein auf seinen.
Ich blieb ruhig und entspannt, auch wenn sich von dem erhofften Trance-Zustand nicht viel abzeichnete (hatte aber auch nicht genügend geübt). Irgendwann wurden die Wehen unbequemer, ich wollte mich aufrichten und wir zogen um zur Bank (der Regen hatte aufgehört und die Sonne war wieder draußen).
Da rief dann auch Jenny um halb zehn an und rannte in ihrer Panik alles in der Wohnung um. Sie hatte verschlafen. Kurz nach elf war sie da. Genau zu dieser Zeit begann sich wohl mein Muttermund zu weiten (nehme ich an), denn blutiger Schleim ging ab. Von da an bekamen die Wehen auch eine andere Qualität. Tom ging los, um Jenny mit dem Schlauchboot vom anderen Ufer abzuholen.

Die zehn Minuten, die die beiden weg waren, blieben mir deutlich in Erinnerung. Kaum war ich allein, veränderte sich meine gesamte Wahrnehmung. Ich glitt in Sekundenschnelle in eine Trance, ganz ohne Hypnobirthing oder irgendetwas. Es war, als hätte mein Körper nur darauf gewartet. Ich beobachtete die Bäume am anderen Ufer und es war, als ob mein Bewusstsein an Achtsamkeit verlor und die Farben und Formen dort drüben sich zu Mustern gliederten. Nicht durch Mühe, sondern durch Nicht-Mühe. Ein Aufgeben der Kontrolle meines Bewusstseins und ich spürte, wie eine andere Ebene in mir nach oben drängte und die Führung übernahm. Ich erinnere mich kaum noch an diese zehn Minuten, nur noch, wie es begann und wie ich dann wieder herausgelangte, es war ohne Zeitgefühl und ohne Regung.
Ich erinnere mich, dass die Wehen und der Wehenschmerz sich veränderten und ich es ganz anders wahrnahm. Es war mein Körper, der arbeitete, aber es kam nicht mehr als Schmerz bei mir an.
Ich war in einem wunderbar meditativen tiefentspannten Zustand, den ich sonst nur von LSD kannte oder der Grenze zwischen Wachsein und Traum.

Kaum kamen die beiden zurück, verflog das Gefühl innerhalb weniger Sekunden wieder. Ich hatte nicht den Mut, zu sagen, dass ich alleine sein wollte. Ich wusste auch gar nicht, ob ich allein sein wollte. Ich wollte die beiden irgendwie um mich herum haben zur emotionalen Stärkung. Dabei war ich nur stärkungsbedürftig, solange sie da waren. Ein witziges Paradox, auf das meiner Ansicht auch die Geburtsmedizin gründet. Solange sie da waren, hatte ich das Bedürfnis, nicht alleingelassen zu werden, weil ich Schmerzen hatte und an irgendeinem Punkt auch unsicher war.
Ich hatte mich wohl auch nicht getraut, mir einzugestehen, dass ich lieber ohne die beiden wäre. Als ob ich den beiden ein wichtiges Erlebnis vorenthalten würde und ich das deshalb nicht verlangen durfte. Für die nächste Geburt weiß ich, dass man als Gebärende kompromisslos egoistisch sein sollte. Man selbst muss sich wohlfühlen, das ist das höchste Gebot.

In jedem Stadium der Wehen waren andere Atemtechniken oder Visualisierungen sinnvoll und nützlich. Ich musste immer wieder wechseln aber fand auch immer wieder einen guten neuen Weg.
Die Hypnobirthing-Atmung machte ich völlig falsch, wie ich später herausfand. In dem Moment realisierte ich nicht, dass ich die fehlerhafte Atmung durchführte, die ich blöderweise in den ersten Monaten geübt hatte. Deshalb machte ich die dann auch nicht mehr, weil sie den Schmerz höllisch verschlimmerte und ich auch das Gefühl hatte, nicht genug Luft zu bekommen. Ich wartete ein bisschen darauf, in einen Trance-Zustand zu kommen, aber in der Richtung passierte nicht mehr viel. Ich war da und erlebte den Schmerz voll mit. Ich fragte mich mehrfach, ob er noch heftiger werden konnte und ja, er konnte. Und dennoch ging es immer nur an meine Grenzen und nicht darüber hinaus.
Ich befürchtete auch überhaupt nicht, dass es darüber hinausgehen würde. Da war keine Angst oder Verzweiflung. Ich wusste, dass mein Körper nun arbeitete und ich den Prozess, der nun ablief, bloß unterstützen konnte, indem ich mich entspannte. Also blieb ich ruhig. Während der Wehen bewegte ich mich überhaupt nicht. Jede Muskelanspannung intensivierte den Schmerz extrem, also suchte ich mir in den Wehenpausen eine bequeme Position und stand die Wehe dann regungslos und mit tiefen ruhigen Atemzügen durch. Auch das Baby bewegte sich nicht. Trat nur einmal bei den Übergangswehen kräftig zu, damit ich wusste, dass es ihm gut ging, das war’s.

Die größte Steigerung war dann an einem Punkt, wo ich nicht mehr die progressive Entspannung machen konnte, sondern nur noch bei der „eins“ hängen blieb. Irgendwann ging auch das nicht mehr, die Wehen erreichten ihren Höhepunkt. Da begannen wir mit einem Mantra. Ich hatte zu mir selbst mit jedem Atemzug „Öffne dich“ gesagt, aber mir fehlte dann die Luft, ich brauchte sie zum Atmen. Also übernahmen Jenny und Tom das Sprechen, ich konzentrierte mich darauf, und das half sehr.

Dann war eine Art Pause. Ich weiß nicht, ob ich da schon in den Übergangswehen war oder nur die Eröffnungswehen zu Ende waren. Ich nutzte die Zeit, um nochmal ins Wasser zu klettern und mich abzuwaschen. Die Fliegen nervten die ganze Geburt über, man sollte also bei einer Draußen-Geburt, besonders mit Nähe zu Wasser immer Leute zum Wedeln oder ein Moskitonetz haben.

Danach gingen wir auf die XXL-Luftmatratze, die blöderweise ein Loch bekommen hatte. Aber da ich nun knien wollte, sollte es ein bisschen gemütlicher sein. Der arme Tom stützte mich und hielt dabei halb verrenkt die ganze Zeit das Loch an der Seite zu. Ich bemerkte davon gar nichts, kein Wort der Klage. Erst als die Geburt vorüber war, gestand er, dass die Taubheit aus seinen Armen bis zum Kiefer hochgekrochen war. Eine Ersatz-Luftmatratze ist also auch sinnvoll.

Unten begannen dann vermutlich die Übergangswehen. Es gab einfach keine Pausen mehr, die Wehen waren extrem heftig, aber die Verschnaufpausen existierten nicht mehr. Stattdessen fühlte man die eine Wehe gehen und die andere schon kommen, die gaben sich die Klinke in die Hand. An diesem Punkt war es auch, dass ich sagte „Ich kann nicht mehr“, oder „Ich will nicht mehr“. Es war so gesehen nicht ernst gemeint und ich wusste auch, dass mein Körper noch konnte, aber ich hatte keine Lust mehr. Mir war aber auch klar, trotz meinem Gejammer, dass nun alles sehr rasant vorbeiging und nun bald geschafft wäre.

Dann, als ich ein paar Minuten diese Übergangswehen gehabt hatte, weiter mit dem Mantra des Öffnens, fühlte ich plötzlich, dass sich etwas einstellte. So ein Klonk, etwas greift. Der Kleine stellte sich in den Geburtskanal ein, ich fühlte es, wie nun das Eine zu Ende ging und die nächste Episode begann und ich rief begeistert: Das Baby kommt!
Am Anfang waren die Presswehen noch nicht so stark, dass ich mitpressen musste. Ich entspannte also à la Hypnobirthing und wir begannen ein neues Mantra: Du bist weit. Es half sehr, sich darauf zu konzentrieren. Ich denke, dass ich erst während dieser Wehen laut wurde. Ich kniete vor Tom, meine Arme hatte ich um seinen Hals gelegt.
Und an einem bestimmten Punkt küsste ich Tom und das half nochmal richtig, die Dinge ins Rollen zu bringen.
Zwischen den Presswehen waren zu Beginn noch Pausen, die es gut erträglich machten. Überhaupt kann ich die Presswehen nicht als unangenehm bezeichnen, denn mein Körper arbeitete völlig in Eigenregie und ich spürte den Fortschritt bei jeder Wehe. Auf jeden Fall tat es nicht weh, es war einfach nur ein krasses Gefühl, zu spüren, wie das Kind sich immer weiter nach unten bewegt. Da plötzlich, nach einigen Presswehen erst, platzte plötzlich die Fruchtblase mit einer gewaltigen Explosion in Jennys Hände. So einen Knall hatte ich nicht erwartet.
Die Presswehen wurden stärker und ich konnte ihnen nicht mehr widerstehen. Ich schob dann doch etwas mit und das Ganze wurde dadurch auch viel effektiver. Ich fühlte, wie er weiter und weiter nach unten ging und war irgendwann sicher, dass der Kopf nun schon draußen sein musste, aber Jenny verneinte. Er muss aber eine riesige Beule gebildet haben, so fühlte es sich an. Dann wurden die Presswehen richtig heftig und ich schrie/ brüllte dabei, weil es so gut tat, dieser unglaublichen Kraft Ausdruck zu geben und sie herauszulassen.

Und dann war plötzlich wieder eine Pause und ich fühlte, dass nun der Kopf rauskommen würde. Es war wieder eine Presswehe, aber ihr fehlte der heftige Drang zum Mitpressen, den ich davor gespürt hatte. Ich wusste auch, dass dies nun der sensibelste Punkt war und entspannte mich, konzentrierte mich auf das Weitsein und atmete „sanft Liebe nach unten“. Ich wollte ja keinen Dammriss. Dann fühlte ich, wie sich meine Haut immer weiter dehnte und schließlich spannte. Zum Zerreißen spannte aber nicht zerriss. Ich hatte gedacht, ich wäre eh glitschig und feucht von dem ganzen Blut etc., aber plötzlich fühlten sich einige Stellen staubtrocken an (vielleicht hätte man die tatsächlich noch mit Öl einreiben können in diesem Augenblick oder vorher) und ich fühlte den Kopf daran entlang schaben. Dann war der Kopf draußen und wieder war eine Pause. Ich fühlte, dass mein Körper sich die Zeit nahm für die letzte Presswehe und kannte das ja auch aus den Geburtsberichten. Ich wusste, dass es nun geschafft war.
Tom versuchte mir was zu erzählen von wegen, ich solle jetzt noch einmal alles geben, der schrecklich Uninformierte, bis ich ihm irgendwie verständlich machte, er solle den Mund halten und es ist alles gut so. Dann kam die letzte Wehe und der Körper war geboren.

Wie ich mich umsetzte, damit ich nicht an der Nabelschnur hängen blieb und so weiter, weiß ich gar nicht mehr. Auf jeden Fall lehnte ich dann an Tom und Jenny hielt das Baby. Es war so unwirklich, den Kleinen das erste Mal zu sehen, kaum zu glauben, dass er in meinem Bauch gewesen war! Ich hatte geglaubt, Babys kommen blutig raus. „Du hattest recht, es ist ein Junge!“, sagte Tom zu mir (weil ich das seit der 9. SSW angekündigt hatte). Die Arme und Beine vom Baby ruderten hin und her, aber es schrie nicht, sondern wirkte nur erschrocken. Jenny gab ihn mir und ich legte ihn mir auf meinen Arm / meinen Bauch. Da wurde er sofort ruhig.
Wir taten schnell das Handtuch drüber, das Tom seit einigen Stunden um seinen Bauch gewickelt getragen hatte und schauten ihn an. Er war kein bisschen blau, nur Hände und Füße waren blass. Sein Kopf war auch gar nicht verformt oder zumindest nicht so, dass wir es erkannt hätten.

Ich hatte Angst, dass er womöglich Wasser in der Lunge hatte, er röchelte etwas herum und ich wusste nicht, ob ich versuchen sollte, es abzusaugen.

Ich konnte mich rückblickend und ehrlich betrachtet sehr wenig auf den Zauber des Augenblicks einlassen, weil ich plötzlich im Stress- und Angstmodus war und mich völlig vom Intellekt verschrecken ließ, der verschiedenste Horrorszenarieren abklären wollte. Das hätte ich vermutlich durch eine Hebamme in meiner Nähe vermeiden können (oder eine bessere medizinische Vorbereitung). Ich versuchte, das Baby höher zu heben, aber so lang war die Nabelschnur dann auch wieder nicht und er wirkte auch so klein und hilflos, dass es mir leid tat, so an ihm herumzuhantieren. Also ließ ich ihn dann doch dort, vertraute darauf, dass er auch noch von der Plazenta versorgt wurde momentan und beobachtete dabei, wie sich seine Brust bei jedem Atemzug leicht bewegte.
Die Atemzüge wurden nach einigen Minuten regelmäßiger, das Hüsteln hatte sich erledigt und ich sagte mir, dass wenn er Laute machen konnte, er ja offenbar Luft in die Lunge bekam.
Langsam begann er, seine Augen zu öffnen, die ganz verquollen waren und die ganze Zeit bewegte er seinen Mund und machte die verschiedensten Geräusche. Er war nicht ruhig, sondern wirklich lebendig, aber auch wiederum nicht unruhig oder nervös. Er wirkte sehr friedlich.

Irgendwann wirkte er weniger friedlich, er wollte offenbar trinken. Aber das erste Stillen war nicht ganz leicht. Vielleicht hatte ich auch einfach zu lange gewartet mit einer Reaktion (aus Scheu, irgendetwas am Status quo zu ändern – man könnte ja was kaputt machen). Als ich ihn dann stillen wollte, drückte er immer wieder mein Brustwarze weg und lutschte nur wieder an seinen Handrücken herum. Er fuchtelte ganz viel und zerkratzte dabei mit seinen langen Fingernägeln sein Gesicht und weinte. Er tat mir schrecklich leid und ich hatte schon Angst, dass ich ihn gar nicht würde stillen können. Er war sichtlich empört, was ich da versuchte, ihm in den Mund zu stecken. Ich bekam es mit dem Stillen im Sitzen einfach nicht hin und so legten wir ihn auf die Matratze, ich mich daneben und da klappte es dann endlich. Man musste ihn halt erst mal davon überzeugen, dass meine Brust in seinen Mund gehörte. Dann war er wieder ganz entspannt und friedlich.

Er bekam einen Schluckauf und dann realisierte ich, dass ihm kalt sein musste und wir wickelten noch Jennys weißes Wolltuch um sein Handtuch und es wurde besser. Wir warteten auf die Plazenta und ich machte mir da auch keine Sorgen, hatte ja eh keine Zeit gehabt bisher zum Plazentarausdrücken. Aber Jenny machte sich da irgendwie voll Stress, dabei war alles noch im Rahmen. Meine Hebamme, die Bescheid gewusst hatte und die wir nach Ende der Geburt anriefen, sagte dann auch, wir sollen uns nochmal melden, wenn sie in einer halben Stunde noch nicht raus ist.
Ich fragte mich halt auch, wie die rauskommen soll, wenn ich total gekrümmt auf meinem Popo sitze, da ist ja eh der Weg versperrt. Abgelöst hatte sie sich nach etwa 15 Minuten nach der Geburt.
Na ja, nach zwei Stunden, als Jenny sich wirklich schon Sorgen machte und auch meine Hebamme meinte, nun müsse was passieren, setzte ich mich auf mit dem Beschluss, die Plazenta nun rauszupressen. Gerade da wollte der Kleine dann auch noch mal gestillt werden, was sich super ergänzte. Er trank also und es zog kräftig in meinem Bauch.

Als er fertig war, setzte ich mich auf, Jenny unterstützte mich in der gleichen Position, mit der Tom mir bei den Eröffnungswehen geholfen hatte (sie machte mit ihren Beinen kniend eine Art Geburtshocker für mich) und dann kam auch die Plazenta raus.
Bald darauf beschlossen wir, loszufahren (Geburt war 14.30h gewesen) und gegen sieben war dann alles wieder verstaut und fertig.
Eine Frau war am Steg, als wir dort mit dem Schlauchboot ankamen. Bei den Worten „Halt mal kurz die Plazenta, damit ich aussteigen kann“ zu Jenny gefror ihr Gesicht und sie ward nicht mehr gesehen.

Toms Vater kam mit der Alleingeburt überhaupt nicht klar. Ohne sich jemals wirklich über den Vorgang einer Geburt informiert, sich über biologische und psychologische Prozesse belesen zu haben, erklärte er uns empört für verantwortungslos und redete nicht mehr mit mir. Da wir damals bei Toms Eltern in einem Wohnwagen hinten im Garten lebten, war das eine denkbar ungünstige Konstellation, die nach einer Woche bei mir zu einem Nervenzusammenbruch führte und wahrscheinlich mit ausschlaggebend war für die spätere Depression. Darin liegt in meinen Augen halt wieder die Heuchelei unserer Gesellschaft: Man wird zu Ehrlichkeit erzogen, aber gesellschaftlich unkonformes Verhalten soll man doch lieber mit Lügen verstecken.
Hilfreich war auch nicht der Umbau am Haus, der genau in diese Zeit gelegt worden war. Zwei Wochen lang wurden unsere Tage mit dem Lärm einer Kreissäge versüßt und wir dadurch tagsüber vertrieben. Entspannung ist was anderes.

Eine Geburt also gerne wieder, auf jeden Fall eine Alleingeburt (mit Unterstützung in Rufweite), aber nächstes Mal eine unabhängige und geschützte Wochenbettatmosphäre. Meine Hebamme war so nett, für uns zu schummeln, damit wir keine Probleme bei der Anmeldung beim Standesamt bekamen.

Was ich Frauen mitgeben möchte für eine Alleingeburt ist Folgendes:

– Bereite alle Papiere vor, Elterngeld, Kindergeld etc. Das ist mehr Papierkram, als man nach der Geburt gebrauchen kann.

– Vertrau auf deine Intuition! Niemand weiß besser als du selbst, was du brauchst. Wir sind keine Statistik, wir sind Menschen, jeder individuell. Und niemand kennt dich so gut wie du selbst, erst recht nicht aus einem Medizinbuch.

– Lies Bücher! Inzwischen gibt es ja ein sehr gutes Alleingeburtsbuch. Dazu noch sehr empfehlenswert: Die selbstbestimmte Geburt (Gaskin), Hypnobirthing (Mongan), und ganz besonders Geburt und Stillen (Odent) → der insbesondere zum Aspekt der Alleingeburt und inwiefern dies die natürlichste Geburtsform ist. (Den Teil mit seinen Polygamie-Ausführungen braucht man nicht unbedingt so ernst zu nehmen …)

– Angst ist normal, aber kontraproduktiv. Finde eine Methode, deine Angst zu bewältigen (bei mir war es das Hören der Hypnobirthing-CD). Beobachte deine Geburtsträume. An ihnen kannst du deine Sicherheit in Bezug auf die Geburt ablesen.

– Egal wie du die Geburt geplant hast – solltest du doch etwas anders wollen, sei egoistisch. Es ist deine Geburt. Du brauchst an diesem Tag mal nicht nett zu sein, außer zu dir selbst.

– Hab‘ immer Wasser verfügbar und in Reichweite!

– Wenn du das Gefühl hast, dein neugeborenes Baby braucht etwas, auch wenn die anderen Umgebenden nicht der Meinung sind (z.B. Stillen) – du weißt es besser. Du bist mit deinem Kind auf tieferer Ebene verbunden.

– Sichere dir selbst die Wochenbettatmosphäre, die du haben willst. Du wirst nach der Geburt sehr sensibel sein und deine Konzentration sollte sich ungestört auf dein Kind und euer Bonding richten.

– Alles Gute!