Was man zu Beginn des 20 Jh. über Geburt schrieb

In meinem Bücherregal gibt es ein interessantes, altes Buch, ein dicker Wälzer von 1920, von dem ich gar nicht mal weiß, woher ich ihn habe. Erstauflage 1901, überarbeitet 1913. Die vorliegende, durch ein paar zusätzliche Seiten ergänzte Ausgabe wurde 1920 gedruckt. Dort findet sich unter vielem anderen ein Kapitel über die Geburtshilfe.

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Aus „Das Goldene Familienbuch – Die Frau als Hausärztin: Ein ärztliches Nachschlagewerk für die Frau von Dr. Anna Fischer-Dückelmann in Zürich promoviert“

über die normale Entbindung:

Bei normalen Entbindungen schreit es [das Kind] sofort nach der Ausstoßung, ohne unser Zutun; ebenso wird es ohne jegliche Hilfe oder Unterstützung an das Licht der Welt gesetzt. Die Natur hat also keine Hebammen oder Ärzte zur Geburt nötig; sie besorgt allein und vortrefflich, was zu machen ist, wenn man sie nicht hindert. (…) In Fällen der Not ist jede gesunde Mutter imstande, allein zu entbinden, ja auch die Nabelschnur zu trennen, um das Kind aus dem Zusammenhang mit der Nachgeburt zu lösen, und, wenn es sein muss, mit dem Kinde im Arm ein Stück Weg zurückzulegen. So hat es manche kräftige Bäuerin getan, die im Felde unerwartet schnell niederkam, und so machen es die Wilden, die im Busch gebären und dann ihrer Truppe, die sich nicht aufhalten lässt, nachlaufen. Dies zur Ermutigung für alle Zaghaften und Ängstlichen, die noch so wenig Ehrfurcht vor den Naturkräften haben, dass sie denken, ohne Menschenhilfe und Menschenweisheit komme nichts zustande. Und doch bieten uns diese nur elenden Notbehelf, wenn uns Mutter Natur einmal wirklich im Stiche lässt!

über den Geburtsschmerz:

Über den Geburtsschmerz ist schon mancherlei geschrieben worden, nicht minder über die Überflüssigkeit des Schreiens während der Geburt. Wodurch entsteht der Geburtsschmerz bei gesunden, gut gebauten Frauen? Ist der Schmerz Naturnotwendigkeit? Keineswegs! Bei kräftigen Individuen, die mit normalen Organen versehen sind, wird nur leises Stöhnen und Pressen vernehmbar, verbunden mit tiefen Atemzügen, wobei in wenige Stunden die Geburtsarbeit bewältigt ist. Keine Aufregung, kein Klagen, kein Schreien dabei. Je schwächlicher und nervöser aber eine Frau ist, desto mehr wachsen die Aufregung und die Schmerzempfindlichkeit dabei, desto länger dauert der Vorgang und umso größer ist die dabei sich einstellende Erschöpfung. (…) Es gibt also tatsächlich eine schmerzlose Entbindung, und sie ist auch unter uns noch nicht ausgestorben; allein sie wird allmählich aus unserem Gedächtnis verschwinden, wenn die weibliche Jugend auf dem Wege fortschreitet, den sie jetzt betreten hat.

über die Geburtshilfe bei anderen Völkern:

Bei ganz wilden Völkern bleibt die Frau in ihrer sogenannten „schweren Stunde“ ohne jegliche Hilfe und Unterstützung. Sie ist allein, besorgt die nötigen Handgriffe selbst, und niemand zeigt ihr Teilnahme. Auch beim Tiere finden Entbindungen in dieser Weise statt. Gesund, kräftig und unbefangen, wie Menschen der untersten Kulturstufe sind, haben sie dies auch nicht nötig, und selten verunglückt eine Mutter dabei.

über die Gebärhaltungen:

Aus verschiedenen, aus dem Mittelalter erhaltenen Abbildungen sieht man während der Entbindung sowohl die stehende wie die sitzende Lage einnehmen. Aus letzterer ging der Geburtsstuhl hervor. Wieviel mehr Körperkraft gehört dazu, knieend, stehend, sitzend zu gebären, statt liegend, wie es jetzt die Europäerin tut, welche meist so geschwächt dabei ist, dass sie in anderen Stellungen ohnmächtig würde, und doch erschwert sicherlich die liegende Stellung die Geburtsarbeit. Kräftige Frauen könnten daher ruhig kauernd, knieend oder stehend das Gebären versuchen; sie werden sich überzeugen, dass sie in solcher Stellung viel aktiver bei dem Vorgange sind und daher raschere Fortschritte machen.

was uns von den Wilden unterscheidet:

Unsere Geburtshilfe unterscheidet sich von jener unwissender Völker hauptsächlich dadurch, dass sie nur auf Grund genauer Sachkenntnis eingreift (…) die Beschwerden zu vermindern bemüht ist und mögliche Gefahren vorbeugt. Dabei zeichnet sie sich durch eine technische Fertigkeit aus, welche in der hochentwickelten Operationskunst ihren sprechensten Ausdruck findet. Davon haben rohe Völker natürlich keine Ahnung. Wären ihre Frauen nicht so gesund, ihre Widerstandskraft nicht so viel größer als die bei heutigen Europäerinnen, so würden ihrer brutalen Geburtshilfe unzählige Mütter und Kinder zum Opfer fallen.

Noch eine interessante Abbildung über die Wendung eines Baby auf die Füße:

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