Zur Situation in deutschen Kreißsälen

Hausgeburt ist so gefährlich? Oder sollte man doch eher Angst vor der Geburt im Krankenhaus haben?
Hier mal ein interessanter Artikel über die Realität in deutschen Kreißsälen.

Krise im Kreißsaal

Eine gute Freundin arbeitet seit ein paar Wochen in einem Kleinstadtkrankenhaus als Ärztin auf der Kinderstation. Es ist ihre erste Stelle nach dem Medizinstudium, das sich in Deutschland nicht gerade durch einen hohen praktischen Anteil auszeichnet.

Nach einer Einarbeitungszeit von zwei Wochen hatte sie bereits ihren ersten Dienst zu leisten. Das heißt, sie steht ab nachmittags bis zum nächsten Morgen erst einmal alleine für alles da, was da kommt: für die Betreuung des Neugeborenen-Notfalls im Kreißsaal ebenso wie für alle anderen mehr oder weniger akuten und vielleicht sogar lebensbedrohlichen Situationen in der Kinderheilkunde. Und als sie mir auf dem Spielplatz davon erzählt, ist es auf einmal wieder da – diese mulmige Gefühl, dass auch ich als „Junghebamme“ kurz nach dem Examen hatte, als ich nach nur drei Wochen Einarbeitungszeit nachts alleine im Kreißsaal eines kleinen Berliner Krankenhauses stand. Die Anwesenheitszahl der Hebammen in einem Kreißsaal berechnet sich nach der Geburtenzahl. Babys kommen aber nicht in gleicher „Stückzahl“ täglich zur Welt, sondern an manchen Tagen werden ganz viele geboren und manche Kreißsaaltage sind eher ruhig.

Mein erster Dienst allein als frische Hebamme war aber eher alles andere als ruhig – so waren zwei Frauen gleichzeitig unter der Geburt. Zwar in verschiedenen Stadien – eine gute, kontinuierliche Begleitung hätte ich aber gerne beiden Frauen ermöglicht. Aber neben der Arbeit in der gynäkologischen Ambulanz, die auch noch durch mich als anwesende Hebamme mit versorgt wurde, bleib da wirklich nur noch Zeit für das Allernötigste. Und das war, darauf zu schauen, dass den Kindern und Frauen nichts passiert. Und nein, eine hektische, zwischen zwei Kreißssälen hin und her laufende Hebamme vermittelt sicherlich nicht die Ruhe, die es für eine Geburt braucht. Dazu kam, dass die für diese Nacht eingeteilte Ärztin zwar schon viele Jahre Berufserfahrung hatte, aber durch eine mehrjährige Pause aufgrund eigener Kinder auch gerade wieder ein bisschen von vorne anfing.

Keine Zeit für Geburtshilfe

Und natürlich entwickelte sich ausgerechnet eine der beiden Geburten komplizierter als gedacht. Der von uns bald dazu gerufene Oberarzt brauchte eine gute halbe Stunde, um die Klinik zu erreichen, um danach die Geburt durch einen operativen Eingriff zu beenden. Mutter und Kind sind unversehrt aus dieser Geburt hervor gegangen, aber rückblickend war das mehr Glück als alles andere.

Denn eine kaum eingearbeitete Berufsanfängerin, die gleichzeitig zwei Geburten betreut sowie eine unsichere diensthabende Ärztin sind eine denkbar ungünstige Situation. Aber durch den großen Personalmangel an allen Ecken und Enden sieht es genauso in vielen Krankenhäusern in Deutschland aus. Auch meine damaligen Kolleginnen hätten mir sicher gerne eine längere Einarbeitungszeit ermöglicht, aber der knapp besetzte Dienstplan und das völlig übergelaufene Überstundenkonto gaben das einfach nicht her.

Warum ich das schreibe? Weil ich neulich mal wieder gefragt wurde, ob ich nicht Angst hatte, mein Kind zu Hause Welt zur bringen. Nein, ich habe ehrlich gesagt immer ein bisschen Angst gehabt, ins Krankenhaus zu müssen, weil es dort von so vielen externen Faktoren abhängt, wie die Geburt verläuft. Wenn man nicht gerade eine Beleghebamme hat, die ja zunehmend mehr und mehr aus der Gebärlandschaft verschwinden, weiß man nicht, wie viel Zeit die Klinikhebamme für einen haben wird. Wie viele Geburten wird sie parallel betreuen? Wie viel Andrang herrscht in der Schwangeren- bzw. der gynäkologischen Ambulanz? Wie viele CTGs, Einleitungen oder postoperative Überwachungen sind neben der eigentlichen Geburtshilfe noch abzuarbeiten an diesem Tag oder in dieser Nacht?

Selbstbestimmte Geburt?

Ich weiß, dass die Kolleginnen sich in der Klinik die Hacken abrennen. Ich weiß, dass sie sich mehr Zeit für die eigentliche Geburtsbegleitung wünschen, als stundenlang Daten in den Computer zu hacken. Die zunehmend höheren Auflagen in puncto Qualitätsmanagement sind sicher sinnvoll, wenn sie aber nur dazu führen, dass Klinikmitarbeiter zehn Seiten Papierkram mehr pro Patient ausfüllen müssen, ist damit am Ende sicher nicht den Patienten gedient. Dazu kommt die permanente Angst, rechtlich belangt zu werden, wenn man nicht dieses und jenes tut und alles entsprechend ausführlich dokumentiert. Während in der außerklinischen Geburtshilfe die Geburt auch einfach mal ein Weilchen „stagnieren“ darf (und die Frau neue Kraft schöpfen kann), wird man in der Klinik doch schon nervös, wenn sich zwei Stunden lang am Muttermund nichts tut. Und wenn sich von alleine nichts tut, muss man halt was tun… und eine Intervention bewirkt meist die nächste. Der PDA folgt meist der Wehentropf, dem Wehentropf die Saugglocke und so weiter…

Diese Kette hat meine in der Klinik arbeitende Kollegin Jana sehr eindrücklich beschrieben. Von der erwünschten selbstbestimmten Geburt bleibt da manchmal nicht mehr viel übrig. Zu Hause hatte ich den Luxus, dass sich eine Hebamme ganz exklusiv nur um mich und mein Baby gekümmert hat, in den letzten zwei Stunden vor der Geburt sowie danach war sogar eine zweite Hebamme zusätzlich vor Ort. Luxus für mich, aber finanziell sicher nicht für die Hebamme. 694,58 Euro brutto bekommt die Hebamme für eine Hausgeburt. Damit ist die Geburtshilfe acht Stunden vor und drei Stunden nach der Geburt beglichen einschließlich aller damit verbundenen Leistungen und der Dokumentation, die natürlich gerade in dem Bereich ein ordentlicher Zeitfresser ist. Davon gehen Steuern, Krankenversicherung, Rentenversicherung sowie sämtliche berufsbezogene Ausgaben ab. Und das ist nicht wenig, allein was die geburtshilfliche Haftpflichversicherung angeht. 4480 Euro im Jahr muss eine Hebamme dafür bezahlen.

Ab Juli 2014 ist mit einer weiteren Erhöhung im zweistelligen Prozentbereich zu rechnen. Ja, da darf eine Hebamme erst mal eine Menge Geburten begleiten, nur um die Haftpflicht bezahlen zu können. Eine Beleghebamme bekommt bei gleichen Konditionen für die Begleitung einer Geburt in der Klinik sogar nur ganze 273,22 Euro. Hinzu kommt, dass sich diese wertvolle Arbeit nun mal nicht Montags bis Freitags von 8 bis 18 Uhr erledigen lässt oder gar zu Zeiten, wo die Betreuung der eigenen Kinder durch Kita und Schule organisiert ist. Mehr muss man wohl zum zunehmenden Mangel an Beleghebammen und außerklinischer Geburtshilfe leistenden Hebamme nicht sagen…

Luxus Hebammenbetreuung

Ich bin dankbar, den Luxus einer „exklusiven“ Hebammenbetreuung während der Geburt des Babysohnes gehabt haben zu dürfen. Beide anwesenden Hebammen (die zweite Hebamme hat einen noch wesentlich geringeren Stundenlohn bei gleicher Haftpflichtprämie) hatten nur Zeit für mich – keine Kreißsaalklingel holte sie aus unserem Wohnzimmer, keine gynäkologischen „Notfälle“ hielten sie davon ab, mich in der anstrengenden Endphase zu unterstützen. Wie gerne hätte ich den Frauen in meinen Klinikzeiten auch so eine Betreuung ermöglicht, denn letztendlich ist nicht der Geburtsort allentscheidend, sondern die Qualität der Betreuung, die eine wehende Frau dort erfährt.

Ich behaupte mal, dass die meisten Klinikkolleginnen den Frauen kraftvolle, interventionsarme und selbstbestimmte Geburten wünschen, aber in der Klinik sind einem als Hebamme so oft die Hände gebunden, dies zu ermöglichen. Mit Zeit, mit Ruhe zum Gebären – und das nicht nur als Glücksfall, wenn der Kreißsaal gerade nicht übervoll ist. Die positiven Aspekte einer kontinuierlichen 1:1-Betreuung sind ausreichend belegt. Genug Zeit und Aufmerksamkeit für den Geburtsverlauf ist die beste Prophylaxe vor unerwünschten Interventionen, da eine Geburt nun mal nicht immer nach Leitlinien verläuft, sondern den individuellen Blick erfordert. Auch die Sicherheit für Frauen und Kinder steigt nicht durch eine hohe Anzahl möglicher Eingriffe in den Geburtsverlauf, sondern mit der Aufmerksamkeit und Zeit, die jeder Geburtshelfer der einzelnen Frau widmen kann.

Es braucht genug Personal, um den Stress in einem Kreißsaal nicht bei den Müttern ankommen zu lassen. Stress und Unruhe wirken sich nachweislich negativ auf den Geburtsverlauf aus. Die für die Geburt erforderlichen Hormone fließen nun mal am besten, wenn Intimität, Ruhe und Geborgenheit am Geburtsort herrschen. Das ist zu Hause in der Regel der Fall, sollte es aber auch an jedem anderen Ort gegeben sein, an dem Frauen ihre Kinder zur Welt bringen. Zumal durch die zunehmend weniger werdenden Kolleginnen, die noch außerklinische Geburtshilfe anbieten, faktisch schon längst keine Wahlfreiheit mehr gegeben ist. In manchen Regionen gibt es dieses Angebot überhaupt nicht mehr und in den Ballungszentren muss man sich eigentlich direkt nach der Befruchtung um eine außerklinisch oder in der Beleggeburtshilfe arbeitende Hebamme bemühen, weil diese chronisch überlaufen sind.

Ausreichend ist nicht gut

Aus Krankenkassensicht ist das Angebot für Gebärende aber ausreichend. Ausreichend ist aber nun mal nicht gut. Und genau das sollte es doch sein, wenn es um den Lebensbeginn unserer Kinder geht. Trotz Petitionen zum Thema, trotz guter Pressearbeit, trotz Lippenbekenntnissen kurz vor großen Wahlen scheint sich absehbar nicht wirklich etwas in der deutschen Geburtslandschaft zu verändern. Wahrscheinlich wird es Zeit, dass die „Krankenkassenkunden“ sich bei ihren Versicherern beschweren. Nämlich dann, wenn sie keine Hebamme finden oder wenn sie unter der Geburt nicht die Betreuung bekamen, die sie sich gewünscht haben und die der Klinikinfoabend (der natürlich immer das Idealszenario schildert) versprochen hatte. Denn wahrscheinlich kann nur eine anhaltende „Kundenunzufriedenheit“ nachhaltig etwas an der chronischen Unterbesetzung in den Kreißsäälen oder am beständigen Aussterben der Beleg-, Geburtshaus- oder Hausgeburtshebammen ändern.

Natürlich haben die meisten Eltern erst mal anderes nach der Geburt zu tun, als ihrer Krankenkasse oder den Gesundheitspolitikern zu schreiben. Aber wenn wir ein bisschen weiter denken, werden auch unsere Kinder irgendwann Eltern werden. Was für eine Begleitung für den Lebensbeginn unserer Enkel wünschen wir ihnen dann?

Übrigens hatte meine Freundin zum Glück in ihrem ersten Dienst nur zwei Scharlachfälle und eine allergische Hautreaktion zu behandeln…

Quelle: http://www.zockt.com/vonguteneltern/?p=1001