Die freie Geburt von O.

Ich darf wieder einen sehr schönen Geburtsbericht mit euch teilen! :yes:

„Mit meinem riesigen Bauch bejammere ich schon seit Tagen meine Unbeweglichkeit, das Kribbeln im linken Bein nach kurzen Fußmärschen, nicht zu wissen, wie ich noch bequem liegen kann. Trotz dieser deutlichen Schwangerschaftsunlust zusammen mit der sich mir aufdrängenden Frage, warum man sich das nochmal antut mit dem Kinderkriegen deutet nichts auf eine nahe Geburt hin. Kein Vorwehchen weit und breit, das mir Hoffnung macht.

Stattdessen Freund L. und die beiden Großen zu hause krank im Bett. Wie soll ich hier auch gebären können, wenn ich keine Sekunde für mich selbst habe? Also raus aus der Wohnung, an diesem ersten und für lange Zeit auch letzten frühlinghaften Tag weit und breit. ‚Wichtige‘ Sachen sind schließlich zu erledigen, wir haben ja noch gar keinen Sekt fürs Anstoßen nach der Geburt besorgt, die Kranken brauchen Gemüsesuppe und außerdem muss ich unbedingt im Sonnenschein das erste Eis des Jahres essen.

Schon beim Losgehen das erste Ziehen im Bauch, aber ich traue mich noch nicht, das auch ernst zu nehmen. Auch nicht, als es bei dieser und jener Erledigung, die ich nebenbei noch mache, stärker wird. Bepackt mit großen Taschen und Tüten und Eis in der Hand mache ich einen Sonnenscheinspaziergang, damit die Wehen nicht einfach wieder verschwinden. Zu meiner großen Freude tun sie das auch nicht, sondern werden immer stärker. Die Runde wird größer als beabsichtigt und gegen Ende muss ich mich unter besorgten Blicken anderer Schwangerer schon am Brückenpfosten aufstützen bei einer Wehe.

Zu hause auf dem Sofa beim Entspannen verschwinden die Wehen auch nicht wieder und so entsteht in der Wohnung erst mal große Hektik. Die beiden großen kranken Kinder sollen mit den beiden Mitbewohnern kurzfristig ausquartiert werden und das Losgehen dauert und dauert, während ich im vom Losgehtrubel am weitesten entfernten Kinderzimmer meine Runden drehe und mich bei jeder Wehe an Schränken oder Türrahmen festhalte. Die Wehenabstände werden immer kürzer und ich sehne den Moment herbei, da ich mich endlich nur auf die Geburt konzentrieren kann.

Um fünf Uhr sind sie endlich draußen. Jetzt geht alles ziemlich schnell, die Wehen werden sehr intensiv und ich bin endlich ganz bei der Geburt. Ich nehme keine Zeit wahr, nicht die Welt draußen vor der Wohnungstür. L. währenddessen rennt herum und bereitet alles mögliche vor, schließt Vorhänge, legt Planen aus und Handtücher bereit. Ich vor dem Bett in der Hocke maule vor mich hin, hab nun absolut keine Lust auf Gebären, ichwillnichtwillnichtwillnicht.

Es folgt eine mustergültige Übergangsphase mit zitternden Knien, literweise Wasser trinken, fast-kotzen und lautstarkem ich-will-nicht-mehr-Gejammer. Nun will ich gerne in die Pressphase übergehen, aber die Presswehen kommen nicht. Ich bemerke, dass ich nicht richtig loslassen kann, weil ich lieber noch eine Runde auf dem Klo einlegen will. Also raus aus dem abgedunkelten, geburtsölduftbewehten, liebevoll mit Polstern und Planen ausgelegten Gebärzimmer ins grelle enge kühle Badezimmer. Dort L. erstmal raus schicken und mich entleeren. Dann soll er wieder kommen, weil nun die Presswehen beginnen und die Fruchtblase platzt, praktischerweise über dem Klo.

Runter von der Schüssel und mich davor hingehockt, an den Badewannenrand und L. geklammert. Mit geschlossenen Augen gegen das grelle Badezimmer schreie ich verzweifelt es-geht-nicht-ich-will-eine-Pause. Ich weiß ich schaffe diese Geburt gut, aber ich will eine Pause, jetzt sofort!, doch es gibt keine. Mein Körper presst sehr angestrengt und stark. Trotzdem habe ich das Gefühl, es geht nicht gut voran. Mit der Hand spüre ich außer Kopf noch etwas anderes, was da nicht sein sollte. So geht es nicht weiter. Erst mal in den Vierfüßler. L. soll die ganze Zeit bei mir vorne bleiben und mich dort stützen. In dieser Position rutscht das Baby wieder ein Stück zurück und was auch immer im Weg gewesen war ist es anschließend nicht mehr. Nun kann das Kleine nach unten rutschen. Ich will, dass diese anstrengende Geburt vorbei ist! In aufrechter kniender Haltung wird der Kopf geboren, der seitlich gedreht ist. Mit der nächsten Presswehe kommt der Rest des Körpers und das kleine Geschöpf beginnt laut zu weinen.

Irgendwie landet das Baby in meinen Armen und beruhigt sich. Wir Eltern beruhigen uns auch. Wir ziehen wieder um ins Gebärzimmer in den großen Sessel. Im Vorbeigehen ein Blick auf die Uhr: 18.12. Nun bestaunen wir das kleine Wunder, das auf meiner Brust liegt, trocknen es ab, schnuppern an ihm, streicheln es. Mir fällt wieder ein, warum man sich das mit dem Kinderkriegen nochmal antut. Wir warten auf die Plazenta. Trinken will der Kleine noch nicht, hustet zuerst Fruchtwasser hoch, das ich mit dem Mund absauge. Ich verschlinge eine ganze Packung Traubenzucker, während ich weiter mit dem Kleinen kuschele.

Die beiden Großen, die ich eigentlich abgenabelt und geduscht empfangen wollte, kommen nun schon nach hause und können noch bestaunen, wie die Nabelschnur von Babys Bauch in meinen hinein reicht. Während sie im Wohnzimmer sind, stehe ich aus meinem Sessel auf und da rutscht die Plazenta knapp zwei Stunden nach der Geburt des Kindes heraus. Endlich. M., meine Große, schneidet die Nabelschnur voller Stolz durch.

Die nächsten Tage verbringen wir zu fünft im Bett, die anderen drei sind ja noch krank. Das ist neben wunderschön auch ziemlich anstrengend, weil J. die ganze Zeit mit mir kuscheln will und M. die ganze Zeit mit dem Baby kuscheln will. Meine Schwester kommt für zwei Wochen und spielt mit den Kindern, kocht, putzt, kauft ein, was für eine tolle Unterstützung.

Da die Hebamme, die eigentlich kommen sollte, nun doch verhindert ist (hatte sie vorher angekündigt, dass das passieren könnte), finde ich kurzfristig eine andere, die am dritten Tag auch findet, dass der Kleine ganz gesund und munter ist. Sie beruhigt mich, dass meine Rückbildung normal ist, ich fühle mich nämlich – obwohl äußerlich nicht die kleinste Verletzung entstanden ist – als könnte jeden Moment mein komplettes Innenleben aus mir herausfallen. Das kenne ich so überhaupt nicht und das beunruhigt mich.

Noch mehr als bei den beiden vorangegangenen Geburten habe ich das Gefühl, dass die Geburt eines Kindes länger dauert als die eigentliche Geburt. Mein Baby, bisher im Bauch, ist nun auf meinem Bauch, trinkt an meiner Brust und die Geburt selbst war nur der Beginn einer langsamen Ablösung, die bis heute andauert.“

2 Gedanken zu „Die freie Geburt von O.“

  1. Das ist der Geburtsbericht einer Frau aus einer Alleingebärergruppe im Internet. Ich teile hier immer mal wieder Geburtsberichte verschiedener Frauen, weiß aber nicht immer, wie ich es deutlich als nicht meine Geburt kennzeichnen soll. Es war die zweite Alleingeburt dieser Frau.

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